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Mittelbayerische Zeitung: So stirbt die Stadt

Archivmeldung vom 10.09.2019

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.09.2019 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

One Click Buy: Das ist nun wirklich superpraktisch. Ein Mausklick - und die Ware kommt gegen geringe oder gar keine Versandgebühr ins Haus. Der schnaufende Paketbote trägt den neuen Fernseher, die zehn schwarzen Hosen und acht gelben Pullover zur Auswahl sogar noch durchs Treppenhaus hinauf bis an die Haustür.

Man braucht gar nicht mehr rauszugehen... Ach ja, und irgendwann will man es auch gar nicht mehr: Denn das inhabergeführte Schuhgeschäft, die Apotheke mit der ausführlichen Beratung, die kleine Boutique mit den Klamotten, die man nicht in jeder Fußgängerzone Europas findet - es wird sie nicht mehr geben. Es sei denn, Vernunft siegt über die Bequemlichkeit. Deutschland liegt mit 71 Prozent E-Commerce-Nutzern in der Bevölkerung europaweit an der Spitze. Kein Wunder also, dass die meisten deutschen Innenstädte bereits heute unter schleichender Verödung leiden oder bereits jeden Rest Leben ausgehaucht haben. Ein Filialist reiht sich an den nächsten, dazwischen Fresstempel, meist Franchisenehmer. Ein fader Einheitsbrei, der keinen Appetit auf Schaufensterbummel macht.

Beim Anblick all der trostlosen Ein-Euro-Shops und Billig-Futterbuden tritt man freiwillig den Rückzug in die eigenen vier Wände an. In ostbayerischen Städten stemmen sich engagierte Einzelhändler gegen den Trend, kämpfen mit Festen, Ideen und gutem Service um jeden Kunden. Es gibt Bürstenläden und Ledermanufakturen, hübsche Läden mit Kleidung und Wohnaccessoires, die man nicht überall findet. Gerade in Regensburg sorgen viele dieser kleinen Läden für entzückte Passanten. Doch auch hier haben die Einzelhändler mit dreister Kundschaft zu tun, die sich eingehend beraten lässt - und noch im Geschäft die Preise im Internet checkt. Wer aber möchte, dass die Vielfalt und der Rest-Charme der Innenstädte erhalten bleiben, muss es genau umgekehrt machen: online schauen, was die Warenwelt so hergibt - und dann versuchen, das Gewünschte vor Ort zu bekommen. Umweltschutz ist nur einer von vielen Gründen, lokal zu kaufen.

Man muss nicht mit dem Finger auf die Freitagsdemonstranten zeigen. Sie meinen es ja gut. Aber sie wissen hoffentlich, dass es vor allem die junge Generation ist, die bevorzugt im Internet bestellt. Die einen großen Teil der jährlich 3,5 Milliarden Paketlieferungen auslöst und dazu rund eine Viertelmilliarde Retouren. Wieviel Verpackungsmüll entsteht und wieviel Dreck all diese Sprinter und Lkw in die Luft pusten, kann man bewussten junge Leuten durchaus ins Hausaufgabenheft schreiben. Sie werden übrigens auch spitzen, wenn es den Radiergummi für die Schule, die Nähnadel für den abgerissenen Knopf und das Geschenkband für das Geburtstagspräsent nicht mehr im Schreibwarenladen oder Stoffgeschäft, auch nicht im gut sortierten Kaufhaus gibt.

Wie wird es sein, wenn noch jeder kleinste Artikel im Netz bestellt werden muss? Nervt nicht selbst die 24-Stunden-Lieferung, wenn der Knopf doch eigentlich heute noch an den Mantel muss und das neue Schulheft schon für den nächsten Tag benötigt wird? "Aber vor Ort ist alles teurer! Ich kann mir das nicht leisten": Der Verweis auf die Notwendigkeit, sein Geld beisammen zu halten, gehört zu jeder Diskussion um Risiken und Nebenwirkungen des Online-Shoppings. Zugegeben: Wer knapp bei Kasse ist und bei einer größeren Anschaffung 150 Euro oder mehr sparen kann, der hat ein gutes Argument auf seiner Seite. Doch meist beläuft sich die Ersparnis ja allenfalls auf ein paar Euro. Lebendige, lebenswerte Innenstädte sollten uns so viel wert sein. Sonst zahlen wir am Ende für den schnellen, bequemen Shopping-Klick einen sehr hohen Preis.

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots) von Claudia Bockholt

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