Börsen-Zeitung: Kurs auf die Parität
Archivmeldung vom 05.06.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEin paar Tage lang sah es an den europäischen Kapitalmärkten nach einer Beruhigung aus. Der Dax kletterte bis auf 6054 Punkte, der Euro rückte bis auf über 1,23 Dollar vor. Nicht wenige Marktteilnehmer schöpften bereits Hoffnung, dass nun das Schlimmste überstanden sein könnte. Am Freitag hat sich jedoch wieder einmal gezeigt, wie labil die Lage in Wirklichkeit ist.
Unbedachte Äußerungen eines führenden französischen Politikersund leicht unter den Erwartungen hereingekommene Daten vom US-Aktienmarkt haben dazu beigetragen, dass die Ängste erneut in den Vordergrund rücken. Der Euro ist unter 1,20 Dollar gesunken, womit er ein Vierjahrestief zum Greenback markiert. Der Dax taucht wieder unter 6000 Punkte ab, und die Credit Spreads auf Staatsanleihen der hoch verschuldeten Peripherieländer der Europäischen Union sind kräftig gestiegen. Diese Spreads von Credit Default Swaps zeigen an, wie viel es kostet, sich als Investor gegen den Ausfall der Bonds zu versichern.
Zumindest zu einem gewissen Teil darf sich die Misere an den Märkten François Fillon zuschreiben. Der französische Premierminister hat am Freitag angemerkt, er halte die Parität von Euro und Dollar für eine ausschließlich gute Nachricht. Als man in seinem Umfeld nach kurzer Zeit bemerkte, dass die Äußerungen den Kurs des Euro in einem nicht unerheblichen Maß unter Druck setzen, gab es umgehend eine Korrektur: Mit dem Wort "Parität" habe man selbstverständlich nicht die Parität gemeint, sondern auf die generelle Entwicklung des Wechselkurses von Euro und Dollar angespielt. Die "Klarstellung" hat nicht viel geholfen. Auch nach der Korrektur kam es nicht zu einer spürbaren Erholung der Gemeinschaftswährung, im Gegenteil: Erst am späten Nachmittag tauchte der Euro unter die Marke von 1,20 Dollar.
Es gab noch mehr Ungemach: Gemäß den viel beachteten Arbeitsmarktdaten sind in den USA im Mai netto 431000 neue Jobs geschaffen worden. Dies ist zwar an sich positiv, allerdings hatten US-Ökonomen im Durchschnitt mit einem Anstieg um 515000 Arbeitplätze gerechnet. Zudem hängt der Anstieg der Beschäftigung vor allem damit zusammen, dass die Durchführung einer staatlichen Volkszählung für nicht weniger als 410000 zeitlich befristete Arbeitsplätze gesorgt hat.
Belastet haben auch die von der neuen ungarischen Regierung gegebenen Hinweise auf ein deutlich höheres Haushaltsdefizit in dem mitteleuropäischen Land: Sie sorgen für noch mehr Skepsis gegenüber dem Euro und den europäischen Aktien.
Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die Talfahrt des Euro auch in der neuen Handelswoche weitergehen wird. Zur Vorsicht raten daher die Analysten der DZ Bank. Zwar setzte sich die Erkenntnis durch, dass der aktuelle Eurokurs gar nicht so niedrig sei und sogar nahe am fundamental fairen Wert der Gemeinschaftswährung liege. Dies sei jedoch nur ein schwacher Trost und kein Indiz dafür, dass man sich auf diesem Niveau halten könne. Der Euro bleibe angeschlagen, betonen sie.
Folgt man den Einschätzungen der Analysten von Morgan Stanley, ist für den jüngsten Schwächeanfall an den Märkten zu einem wesentlichen Teil das negative Sentiment der Investoren verantwortlich. Die Märkte seien zu pessimistisch hinsichtlich des globalen konjunkturellen Ausblicks. So gebe es bislang keinerlei Hinweise, dass außerhalb der Eurozone die Turbulenzen an den Kapitalmärkten die Realwirtschaft erreicht hätten. Dem Euro dürfte das wenig nützen: Die Analysten gehen davon aus, dass stärker als erwartet ausfallende amerikanische Makrodaten dem Dollar unter die Arme greifen werden.
Hinzu kommt die geldpolitische Perspektive: Es zeichnet sich mittlerweile klar ab, dass die amerikanische Notenbank deutlich eher mit den Zinserhöhungen beginnen wird als die Europäische Zentralbank (EZB), die daran mitzuwirken hat, dass die Schuldenkrise nicht außer Kontrolle gerät. So gesehen könnten die unbedarften Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten gleichwohl richtungsweisend sein: Der Euro dürfte in den kommenden Wochen Kurs auf die Parität zum Dollar nehmen.
Quelle: Börsen-Zeitung