WAZ: Kursdebatte in der SPD - Einzelkampf statt Solidarität
Archivmeldung vom 16.07.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEines muss man anerkennen: Die SPD ist eine Partei, die an Authentizität schwer zu überbieten ist. Freimütig offenbart sie ihre Schwächen, lässt die Öffentlichkeit teilhaben an ihrer Verzagtheit und vor allem an ihrer inneren Zerrissenheit.
Peer Steinbrück träumt von einer Fortsetzung der Großen Koalition, weil sich mit der Union der Haushalt schön sanieren lässt. Kurt Beck träumt von einem Bündnis mit den Liberalen, weil er mit ihnen in Rheinland-Pfalz gut zusammengearbeitet hat. Frank-Walter Steinmeier träumt mit dem Blick auf eine Kanzlerkandidatur eventuell schlecht oder gar nicht oder von den Grünen. Die SPD-Linken träumen von der Linkspartei.
Theoretisch könnte man daraus lesen, dass die SPD über ein großes
Spektrum für Bündnisse der Zukunft verfügt. Praktisch aber sagt und
tut in dieser Partei einfach jeder, was er will. Womöglich ist es der
Fluch der SPD im 21. Jahrhundert, dass sie die "Fliehkräfte der
Gesellschaft", um eine Formulierung von Steinbrück zu verwenden,
höchstpersönlich präzise abbildet.
Mit der Zunahme individueller (und egoistischer) Lebensentwürfe
schwindet in der Bundesrepublik wie in anderen modernen
Gesellschaften die Fähigkeit zur Solidarität. Weil das so ist, wächst
das Bedürfnis nach Solidarität (der jeweils anderen). Gerade in
wirtschaftlich ungewissen Zeiten, in denen scheinbar schlagartig
Finanzkrisen ausbrechen, Energiepreise steigen und Stellen abgebaut
werden, vertieft sich bei vielen Menschen die Sehnsucht nach
Solidarität parallel zu der Angst, sehr individuell zum Verlierer der
Globalisierung zu werden.
Das diffuse Gefühl, dass irgendeine Solidarität irgendwoher
kommen müsste, stärkt die Linkspartei unter anderem deshalb, weil die
Sozialdemokraten miteinander vollkommen unsolidarisch umgehen. Wähler
durchschauen kaum mehr, wer in der SPD bis in die Führung um den
einsam gewordenen Vorsitzenden Beck hinein gegen wen opponiert, ahnen
jedoch, dass jeder hauptsächlich seine eigenen Interessen verfolgt.
Das wirft Menschen, die Angst haben, auf sich selbst zurück. Auch der
CDU trauen Wähler nicht zu, die "Fliehkräfte der Gesellschaft"
aufzuhalten, aber die Rettung der Schwachen und Schwächsten hat man
von ihr auch nie erwartet.
Der SPD dagegen nimmt man wohl besonders übel, dass sie in
unsicheren Zeiten an Stelle von Solidarität im Großformat einer
Volkspartei erstens den Einzelkampf vorlebt. Und dass sie zweitens
auch noch vorführt, wie leicht man damit scheitern kann.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Angela Gareis)