Leipziger Volkszeitung zur Köhler-Rede
Archivmeldung vom 23.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHorst Wer?, lästerte ironisch der Boulevard, als die damaligen Oppositionsführer Merkel und Westerwelle den weithin unbekannten Chef des Internationalen Währungsfonds, Köhler, zum neuen Bundespräsidenten kürten.
Doch der Wirtschaftsexperte mit globalem
Horizont machte ganz im Sinne seiner schwarz-gelben Förderer
erfrischend offenherzig und kompetent auf sich aufmerksam, jenseits
der altgewohnten Partei-Worthülsen: als unermüdlicher Forderer von
Reformen. Mit Vorfahrt für Arbeit und dem Über-Bord-Werfen von
Ballast müsse Deutschland endlich zu alter Bedeutung zurückkehren und
den Anschluss an die globalisierte Welt finden, argumentierte der
Bundespräsident über den Tellerrand hinaus. Dass er sich dabei den
Zorn von Rot-Grün zuziehen würde, war kalkuliert.
Köhler sollte der Wegbereiter für einen Politikwechsel in
Deutschland sein. Doch Merkels und Westerwelles Plan ging gründlich
daneben. Mit der schwarz-roten Koalition kam alles ganz anders. Der
mutige Modernisierer Köhler ist seitdem weitgehend verstummt. Horst,
wo?, Horst, was?, Horst, wie? Das sind die Fragen, deren Antworten
der Bundespräsident nach seinem furiosen Start nun schuldig bleibt.
Ausgerechnet neben der Kanzlerin seiner eigenen Partei, der CDU, ist
er dazu verurteilt, sich meistens auf die Zunge zu beißen, anstatt
lautstark notwendige Veränderungen anzumahnen. Eine präsidiale
Reformpflanze im falschen Biotop.
Wie sehr sich Köhler schon selbst zurückgenommen hat, beweisen
seine auf dem DGB-Bundeskongress nur noch mit gezogener Handbremse
vorgebrachten Reformideen. Wenigstens ließ er der großen Koalition
nicht alles durchgehen: Die müsse mehr gegen die
Massenarbeitslosigkeit tun. Tarifverträge müssten noch flexibler
werden. Die Sozialsysteme seien zu teuer. Und die Steuererhöhungen
würden nicht überwiegend zur Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt.
Trotz dieser zutreffenden, aber milden Kritik ließ die Regierung
Köhler kühl auflaufen. Man höre die Präsidentenworte "mit großem
Respekt", säuselt es aus dem SPD-geführten Finanzministerium. "Wir
bauen die Schulden ab", deswegen brauche der Staat mehr Geld, biegt
sich CDU-General Pofalla irreführend die Realität zurecht.
Das Dilemma Köhlers ist offensichtlich: Nicht nur die SPD, die er
für eine mögliche Wiederwahl noch gebrauchen könnte, reagiert mit
offener Ablehnung auf seinen liberalen Wirtschaftskurs. Auch in der
CDU wollen ihn viele politisch ruhig stellen, um den
Koalitionsfrieden nicht zu gefährden. Daraus resultiert die
Einsamkeit eines Bundespräsidenten mit unerwünschter Agenda im Berlin
der großen Koalition.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung