Westfalenpost: Ohne Mut und Willen Koalition vermurkst Gesundheitsreform
Archivmeldung vom 04.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn Tarifverhandlungen nach hartem Ringen in einer finalen Nachtsitzung ein Ende finden, zeigen sich die Kontrahenten in der Regel anschließend mit dem gefundenen Kompromiss wenig zufrieden. "Mehr war nicht drin", heißt es dann entschuldigend von beiden Seiten.
Beobachter werten das als gutes Zeichen. Nach dem Kompromiss
im Ringen um die Gesundheitsreform zeigten sich die Koalitionäre
gestern am frühen Morgen beiderseitig zufrieden. "Wir haben uns an
zentralen Punkten durchgesetzt", frohlockte CDU-General Pofalla. Sein
SPD-Gegenpart Heil wertete das Ergebnis mit wenig
Fußball-Sachverstand: "8:2 für uns nach Verlängerung und
Elfmeterschießen." Solche Erfolgsmeldungen sind leider ein schlechtes
Zeichen; ein sehr schlechtes sogar.
Die große Koalition hat die
Gesundheitsreform vermurkst. Und das gründlich.
Bislang ging noch jede der inzwischen zahlreichen Reformen im
Gesundheitswesen mit dem Versprechen einher, die Beiträge zu senken
oder doch wenigsten die Arbeitgeber zu entlasten. Kurzfristig ist
dies auch meist gelungen. Dieses Mal hat sich die große Koalition
gleich darauf geeinigt, die Beiträge anzuheben. Das ist keine Reform,
das ist eine Kapitulation.
Nur große Koalitionen können eine echte Gesundheitsreform gegen die
mächtigen Lobbyverbände stemmen - so lautete bislang die landläufige
Meinung. Deshalb hatte auch diese Koalition eine echte Chance. Die
sie leider nicht genutzt hat. Den Parteien fehlte Mut und Wille, den
Lobbyisten weh zu tun, wohl auch, weil beide Seiten allzu eng mit der
einen oder anderen Lobby-Gruppe verbandelt sind. So haben sich Union
und Sozialdemokratie gegenseitig neutralisiert.
Erstaunlich ist vor allem der Jubel in der Union. Mehr Wettbewerb,
mehr Markt und sinkende Beiträge hatten die C-Parteien versprochen,
höhere Beiträge, mehr Bürokratie und mehr Staat sind Ergebnis des
Kompromisses. Vor allem das Geldverteilungsmonster Gesundheitsfonds
könnte die Beitragszahler noch teuer zu stehen kommen. Dagegen
verschwinden die wenigen positiven Elemente, mehr Vertragsfreiheit
für die Kassen etwa oder die Umstellung des Ärztehonorars von Punkten
auf Pauschalen.
Bezeichnenderweise bemessen die Koalitionsparteien ihren Erfolg
daran, was sie alles an Forderungen der Partner haben verhindern
können. Politik als Abwehrschlacht. Regieren, so dachten wir bisher,
habe etwas mit Gestalten zu tun. Man könnte fast meinen, die
Koalitionäre wähnten sich noch immer (die Union) oder endlich wieder
(die Sozialdemokraten) auf den Oppositionsbänken.
Nach den Leistungen von Sonntagnacht gehören sie dort auch hin.
Quelle: Pressemitteilung Westfalenpost