Börsen-Zeitung: Ohne Bodenhaftung
Archivmeldung vom 29.08.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBegierig werden die Investoren in den nächsten Handelstagen die Nachrichten aus der US-Wirtschaft aufnehmen. Denn es steht eine Reihe wichtiger Daten an, darunter mit dem Arbeitsmarktbericht die weltweit am meisten beachtete Konjunkturindikation.
Von noch größerem Interesse dürfte jedoch der Konjunkturindex des Institut for Supply Management für die verarbeitende Industrie vom August sein. Liegen die Volkswirte mit ihrer durchschnittlichen Prognose richtig, dann wird dieser viel beachtete Index erstmals seit der Lehman-Insolvenz wieder die Schwelle von 50 Punkten, die Wachstum von schrumpfender Wirtschaftsleistung trennt, überschreiten.
Letztlich sind diese Daten aber nur Bausteine für die derzeit alles andere überragende Frage für die Finanzmärkte: Erleben wir eine V-förmige und damit schnelle und nachhaltige Erholung der Weltwirtschaft, oder droht uns eine W-Formation, das heißt ein erneuter konjunktureller Einbruch und damit eine längere Rezession? Die Aktienmärkte und die Energie- und Industriemetall-Segmente der Rohstoffmärkte setzen derzeit auf die schnelle Variante. Mit dem in der abgelaufenen Woche erreichten Jahreshoch von 5576 hat der Dax seit März - getragen insbesondere von Finanz- und zyklischen Sektoren - rund 55% hinzugewonnen. Der New Yorker Terminmarktpreis für die Ölsorte WTI erreichte kürzlich ein Hoch von 75 Dollar, was gegenüber dem Tief vom Februar 2009 eine Verteuerung um zwei Drittel bedeutet. Kupfer erreichte zum Wochenschluss Preishöhen, die zuletzt Ende September und damit zwei Wochen nach dem Lehman-Kollaps gesehen worden sind.
Neben der immensen Liquidität und dem mit den Kurssteigerungen zunehmenden Anlagedruck treiben vor allem drei Faktoren die Rally an. Die Unternehmensgewinne entwickeln sich nicht so schlecht, wie vor der Berichtssaison zum zweiten Quartal befürchtet worden war. Als Folge ist zweitens der Abwärtstrend in der Revision der Gewinnprognosen zum Ende gekommen, und drittens überzeugt eine Serie positiv überraschender Daten immer mehr Investoren von der schnellen Überwindung der Rezession. Allerdings gehen sie damit auch ein gewagtes Spiel ein. Denn der Höhenflug erfolgt in einer Phase, in der noch keineswegs feststeht, dass der Aufschwung nachhaltig ist und damit ein Rückschlag mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Die aktuellen Erholungstendenzen erfolgen von einer sehr stark gedrückten Basis aus. Außerdem fordert die Krise nach wie vor ihre Opfer. Zwar sind hohe Arbeitslosenraten nachlaufende Indikatoren, sodass die Schwäche der Arbeitsmärkte durchaus mit einem in nicht allzu großer Ferne liegenden Aufschwung konsistent wäre. Es muss jedoch die Frage gestellt werden, ob in dem aktuellen Zyklus aufgrund der Stärke des Absturzes der Weltwirtschaft nicht größere Schäden angerichtet werden. Immerhin steigen die Arbeitslosenzahlen in den USA noch, auch wenn mit vermindertem Tempo, und die Arbeitslosenquote peilt die seit Jahrzehnten nicht mehr gesehene Schwelle von 10% an. In Japan wurde sogar eine Rekordarbeitslosigkeit vermeldet, und in Deutschland wird mit dem Ende der Kurzarbeit das dicke Ende erst noch kommen. Weitere Risiken gehen von steigenden Insolvenzen aus, die ein durch die Krise stark geschwächtes Bankensystem treffen.
Nicht von der Hand zu weisen ist zudem das Risiko, dass der aktuelle Aufschwung im Wesentlichen auf die Korrektur des vorangegangenen, übertriebenen Leerfegens der Lager und die Ankurbelungsprogramme zurückzuführen ist. Wenn diese Faktoren auslaufen, könnte die Ernüchterung erfolgen. Gleichzeitig können von der globalen Geldpolitik bei Leitzinsen, die nicht weit von der Nulllinie entfernt liegen, nur noch in begrenztem Ausmaß neue Impulse kommen.
Aktienmärkte warten zwar nicht auf den Beginn des Aufschwungs, sondern nehmen diesen vorweg. Insofern könnte die Rally der Aktien- und Rohstoffmärkte als positives Signal gewertet werden. Es muss jedoch auch die Frage gestellt werden, wieweit sich die Märkte von der Realität abheben dürfen, ohne einen Absturz zu riskieren, wenn sich nicht zeitig die Basis für die Kurssteigerungen einstellt.
Quelle: Börsen-Zeitung