Im Epizentrum
Archivmeldung vom 25.03.2020
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.03.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttDie Aussicht auf ein gut 2 Bill. Dollar schweres Hilfspaket der US-Regierung hat an den Aktienmärkten inmitten der Corona-Pandemie zumindest vorübergehend für Erleichterung gesorgt. Die beispiellosen Maßnahmen, die zum Redaktionsschluss knapp vor der Ziellinie im US-Kongress standen, belaufen sich auf ein Zehntel der Wirtschaftsleistung der größten Volkswirtschaft.
Das reichte zusammen mit den am Montag ausgeweiteten Unterstützungsversprechen der US-Notenbank aus, die maßgeblichen Indizes nach oben zu treiben. Ob die neue Zuversicht auch mit der von Donald Trump verbreiteten Hoffnung zu tun hat, dass die Vereinigten Staaten bald wieder "open for business" sein werden, einfach weil das Land nicht dafür gemacht sei, geschlossen zu haben? Geht es nach dem US-Präsidenten, sollen Menschen in den Regionen, die wenig von der Corona-Pandemie betroffen sind, schon bald zurück zur Arbeit gehen. Bereits in wenigen Wochen rechnet Trump mit einer Rückkehr zu normalen Verhältnissen, wie er bei einer Pressekonferenz zur Pandemie im Weißen Haus erklärte. Die USA würden sich schneller als von den meisten Beobachtern erwartet von der Krise erholen und stärker als je zuvor daraus hervorgehen, orakelte der US-Präsident.
Sosehr man sich in diesem Fall wünscht, dass Trump richtigliegt, so berechtigt sind die Zweifel. Derzeit sieht es danach aus, als zöge das Epizentrum der Pandemie von Europa in die USA weiter. Das befürchtet auch die Weltgesundheitsbehörde WHO mit Verweis auf die Entwicklung der Neuinfektionen. Zuletzt stieg ihre Zahl nirgendwo stärker als in den USA. Legt man die Trends der verschiedenen Länder nebeneinander, haben die USA just an dem Tag, an dem Trump eine Normalisierung in Aussicht stellte, die Zahl der Infektionen in China zum vergleichbaren Zeitpunkt während der Pandemie überschritten. Bei der Interpretation dieser Zahlen ist Vorsicht geboten - das Ende einer Krise sieht aber anders aus.
Der US-Präsident hat Recht, wenn er in Erinnerung ruft, dass nicht nur eine Pandemie, sondern auch eine tiefgreifende Wirtschaftskrise fatale Auswirkungen auf viele Biografien hat. Auch in Europa wird man in den nächsten Wochen und Monaten deshalb nicht darum herumkommen, die gesundheitlichen Folgen der Pandemie und die wirtschaftlichen Auswirkungen ihrer Bekämpfung abzuwägen. Doch wer während der Pandemie zu früh Entwarnung gibt, der riskiert, sowohl die gesundheitlichen als auch die wirtschaftlichen Kosten zu erhöhen.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Stefan Paravicini