WAZ: Steigende Preise
Archivmeldung vom 04.07.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNun ist die Europäische Zentralbank (EZB) sich selbst gerecht geworden. Die Leitzinsen steigen um 0,25 Prozentpunkte, womit die Währungshüter deutlich machen, dass sie die steigenden Inflationsraten ernst nehmen und sich wie zu Zeiten der Deutschen Bundesbank selig von keinem Regierungschef ins Geschäft pfuschen lassen. So weit, so gut, so virtuell.
Es mag beruhigend sein, wenn die Notenbanker auf die Teuerung
achten, ist doch ein stabiler Geldwert immer auch Sozialpolitik, weil
die Geldentwertung die Sparer ebenso hart trifft wie Haushalte mit
niedrigem Einkommen und anteilig hohen Ausgaben für Energie und
Lebensmittel. An der hohen Inflationsrate von 3,3 Prozent in
Deutschland aber ändert der Zinsschritt nichts. Womöglich dämpft er
die ohnehin erschlaffende Konjunktur, weil er Kredite und mithin
Investitionen verteuert.
Die Ursachen der Preissteigerungen liegen aber weder in einer
überhitzten Nachfrage oder zu hohen Lohnabschlüssen, sie liegen in
den explodierenden Preisen für Rohstoffe und Energie, die sich
schmerzhaft in Teuerungswellen für Lebensmittel, Gas, Heizöl und
Benzin breit machen. Die teure Energie ist die Hauptsorge der
Deutschen, darauf wies eine Allensbach-Umfrage bereits im Dezember
2007 hin. Damals kostete Super 1,35 Euro, heute kostet Super 1,55.
Und die Politik hat nicht die Spur einer Antwort auf die Teuerung.
Berlin wird aber nicht umhin kommen, eine zu geben.
Rentnerhaushalte, Alleinerziehende oder Fernpendler sind von
einer vielfach höheren Teuerungsrate betroffen als der Durchschnitt
von 3,3 Prozent glauben macht. Das bleibt nicht folgenlos.
Spätestens, wenn im kommenden Superwahljahr 2009 den Bürgern
Nachzahlungen von mehreren Hundert Euro für Strom oder Gas ins Haus
flattern, werden die Wirtschaftspolitiker von CDU und SPD mit großem
Schrecken aus ihrem Tiefschlaf erwachen. Ob sie dann noch gegen die
Volksbeglücker der Linken ankommen, ist zu bezweifeln.
Wo ist der Einsatz für die Mittelschicht, den sie alle in
Fensterreden fordern? Die teils ordentlichen Lohnerhöhungen von über
drei Prozent fallen dem Staat und der Inflation anheim: dem Staat,
weil der von jedem zusätzlichen Lohn-Euro einen höheren Steuersatz
kassiert; der Inflation, weil die die Kaufkraft schwächt. Und dann
profitiert der Finanzminister auch noch von den Steuern auf die
steigenden Preise. Der Abbau der Neuverschuldung ist richtig, das
Kassieren dieser Inflationsgewinne ist falsch. Hier muss Entlastung
her.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Thomas Wels)