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WAZ: Indien holt auf

Archivmeldung vom 07.03.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.03.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Vier der zehn reichsten Menschen der Welt stammen aus Indien, einem Land, in dem es nach wie vor bitterste Armut gibt, in dem Menschen ihre Kinder verkaufen, um zu überleben. Sind also die vier superreichen Inder wieder einmal ein Hinweis auf die Schrecken der globalen Haifisch-Ökonomie, die wenigen zum Vorteil, aber vielen zum Nachteil gereicht?

Wohl kaum. Indien ist ein Beispiel dafür, dass die Internationalisierung, das Zusammenwachsen der Welt Chancen eröffnet für die Ärmeren, wenn auch nicht für alle von ihnen. Es gibt nichts zu beschönigen. Ein Großteil der indischen Landbevölkerung lebt in Armut und Chancenlosigkeit. Allerdings sind unter den 1,1 Milliarden Indern inzwischen an die 300 Millionen, die zu einer gut ausgebildeten Mittelschicht zählen. Und die ist es, die den Indern Mut macht.

Gewiss, die Kluft zwischen Arm und Reich ist enorm groß, so groß, dass wir sie uns hier zu Lande nicht vorstellen können. Ist das nun gut oder ist das schlecht? Oder anders gefragt: Ist das gerecht? Der US-Philosoph John Rawls hält Ungleichheit durchaus für gerecht, allerdings nur dann, wenn die Ärmsten den größten Vorteil davon tragen. Das ist eine so kluge Betrachtung, dass Rawls die Ungleichheit bei Sozialdemokraten salonfähig gemacht hat.

Nun ist ein Vorteil ökonomisch gesehen immer relativ. Einer der nichts hat, hat mit wenig schon einen großen Vorteil. Will sagen: Wenn die Ungleichheit wächst, die Mittelschicht zunimmt, dann kann das auch den Ärmsten nützen. In jedem Fall aber nimmt der Wohlstand in Indien und auch in China so weit zu, dass er nicht nur der indischen oder chinesischen Mittelschicht Mut macht, sondern der deutschen Angst. Auch das heißt Globalisierung: Wenn der Wohlstand der Welt um vier Prozent wächst, zugleich aber die Volkswirtschaften in China und Indien um acht bis zehn Prozent, dann heißt das: Die Welt teilt sich in Gewinner und Verlierer. Deutschland wächst mit gut zwei Prozent - gemessen an den Asiaten zählen wir zu den Verlierern.

Ein wachsender Wohlstand von 300 Millionen Indern - es sei ihnen gegönnt - setzt Arbeitnehmer in Deutschland unter Druck. Eine ganze Textilindustrie ist abgewandert. Nun hat die Globalisierung vielleicht diese befremdliche Folge: Vielen hundert Millionen der 2,5 Milliarden Chinesen und Indern geht es sehr viel besser, zu Lasten von einigen Millionen Deutschen. Gerecht?

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Thomas Wels)

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