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Ehrlich machen

Archivmeldung vom 06.05.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.05.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Ist das Bundesverfassungsgericht von allen guten Geistern verlassen? Ausgerechnet inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression der 1930er Jahre stellt es die EZB-Anleihekäufe in Frage? So mag mancher das am Dienstag ergangene Urteil lesen. Aber das Verdikt ist zunächst einmal primär eine absolut richtige Erinnerung daran, dass auch Not Gebote kennt.

Was schließlich konkret die EZB-Politik betrifft, geht Karlsruhe nicht bis zum Äußersten - und die unmittelbaren wirtschaftlichen und finanziellen Folgen scheinen beherrschbar. Mittel- und langfristig erhöht das Urteil im besten Fall den Druck auf die Politik, endlich Lösungen für die Euro-Zukunft zu liefern.

Zunächst einmal: Das Urteil ist vor allem ein Affront gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Im Grunde werfen die Karlsruher Richter ihren Luxemburger Kollegen vor, keine Ahnung zu haben und willkürlich gehandelt zu haben. Das ist starker Tobak und mag sich mit aufgestautem Frust erklären. Trotzdem müssen beide Seiten zum Dialog zurückfinden, um den Konflikt zu lösen. Eine konstitutionelle Krise ist das Letzte, was Europa jetzt braucht. Das würde nur den Europa-Gegnern in Ungarn, Polen, Italien und sonst wo in die Hände spielen.

Was nun die EZB und die Geldpolitik betrifft, ist der wichtigste Teil des Urteils, dass Staatsanleihekäufe keine monetäre Staatsfinanzierung darstellen, wenn sie gewisse Bedingungen erfüllen. Das gilt es jetzt auch für die EZB-Kritiker anzuerkennen.

Zugleich fordert Karlsruhe aber, dass die EZB stärker die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen überprüft und nachweist. Die EZB sollte Karlsruhe entgegenkommen und ihre Abwägungen darlegen. Sonst droht auch der Bundesbank eine vertrackte Situation, in der sie sich entscheiden müsste, auf wen sie hört. Das muss verhindert werden.

Keine Frage: In der Krise braucht Europa die EZB. Genauso richtig ist, dass die EZB große Unabhängigkeit braucht. Aber auch der EZB sind Grenzen gesetzt, und die Unabhängigkeit bedeutet keine Freistellung von politischer und gerichtlicher Kontrolle. Beides betont Karlsruhe zu Recht. Die EZB sollte deshalb auch jetzt beim neuen Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP nicht vollends überziehen. Es ist im Notfall Aufgabe der Politik, nicht der Geldpolitik, einzelne Länder im Euro zu halten.

Die Politik in Euroland muss endlich aufhören, sich hinter der EZB zu verstecken. In der Krise muss die Fiskalpolitik ihre Pflicht und Schuldigkeit tun. Und nach der Krise braucht es eine sinnvolle Vertiefung der Währungsunion - auch zur Entlastung der EZB. Da muss sich gerade auch Deutschland ehrlich machen.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots)  von Mark Schrörs


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