Mittelbayerische Zeitung: Guttenberg und den Gefahren der Eitelkeit
Archivmeldung vom 10.05.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKarl-Theodor zu Guttenberg bringt es in dem ihm eigenen Duktus glänzend auf den Punkt: Seine "beklagenswerte Eitelkeit" habe ihn neben professoraler Geduld und sanftem, aber unerbittlichem familiären Druck dazu bewogen, seine Studien trotz freiberuflicher und später parlamentarischer Belastung fertigzustellen. Das schreibt der Freiherr im Vorwort zu seiner Doktorarbeit. Die Kommission der Uni Bayreuth urteilt, dass diese Eitelkeit Guttenberg dazu verführt hat, sich mit fremden Federn zu schmücken.
Anders gesagt: Guttenberg hat "vorsätzlich getäuscht". Veröffentlicht werden soll der komplette Bericht morgen. Für die Wissenschaft ist der Fall damit erledigt. Ausgestanden ist die Guttenberg-Affäre damit aber nicht. Guttenberg wird zu Recht heftig kritisiert. Er eignet sich perfekt als Sündenbock für alle Fehler des politischen Systems. Doch eine Tatsache bleibt: Selbstbewusstsein, ja sogar ein wenig Eitelkeit, sind unverzichtbare Voraussetzungen für den beruflichen Erfolg - das erlebt jeder Besucher eines Klassentreffens. Die Siegertypen, diese unübersehbaren Egos, beflügeln die eigenen Karriereträume. Werden Uni-Absolventen nach ihren Vorbildern befragt, tauchen auf den vorderen Plätzen diverser Ranglisten die Namen der Spitzenmanager auf - obwohl diese als arrogant verschrien sind. Um beim Beispiel Guttenberg zu bleiben: Der Ex-Verteidigungsminister hat genau das verkörpert, was eine Gesellschaft, die vom Wettkampf geprägt ist, erwartet. Seine grandiosen Beliebtheitswerte rührten daher. Guttenberg räumte "inkorrektes Setzen und Zitieren oder versäumtes Setzen von Fußnoten" ein. Unklar ist, ob Guttenberg zugibt, dass dies bewusst geschah. Klar ist aber, dass er von den Anforderungen einer Doktorarbeit überfordert war. Wie sind derlei "Fehler" sonst erklärbar? Das wirft die Frage auf, weshalb sich ein intelligenter Mensch mit eindeutig politischen Ambitionen - also einer großen Fallhöhe - selbst so angreifbar macht. Für den Wähler spielt der Doktortitel schließlich eine untergeordnete Rolle, wenn er sein Kreuzchen macht. Viel spricht dafür, dass die Eitelkeit am Werk war. Die Eitelkeit gilt als Laster. Für manch einen ist sie sogar eine Bürde. Offensichtlich jedoch gedeiht sie prächtig. Sie ist sogar zur heimlichen Tugend geworden. Der Kult um das Aussehen ist allgegenwärtig. Schönheitsoperationen sind kein Tabu mehr und im Fernsehen zappt sich die Nation durch Castingshows. Die Selbstinszenierung steht im Mittelpunkt. Manch einer katapultiert sich mit einem falschen Doktortitel in die Welt der Akademiker. Wieder andere schreiben seitenweise ab, um sich den Titel zu verschaffen. Im Deutschlandradio Kultur räumte der Vorsitzende des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, auf mit der Vorstellung, Doktoranden seien von der Gier nach Wissen getrieben. Unter den rund 20 000 Dissertationen, die jährlich geschrieben würden, gebe es nicht wenige, "die doch letztlich nur dem Befriedigen von individuellen Eitelkeiten dienen", sagte er. Sieger sind beliebt. Auch wenn in der Spaßgesellschaft Wettkampf als Spiel betrieben wird, steht am Ende der Ernstfall. Ohne eine gehörige Portion Eitelkeit werden Führungskräfte und solche die es werden wollen, scheitern. Einerseits. Manchmal scheint es so, als ginge es nur um Selbstinszenierung. Aber dieser erste Eindruck täuscht. Gründet sich die Eitelkeit eines Himmelsstürmers nicht nachweislich auf Kompetenz, wird er tief fallen. Sein großes Ego wird ihn aber antreiben, wieder aufzustehen. Deshalb ist auch Guttenberg ein Comeback zuzutrauen - noch immer.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung