WAZ: Deutsche Geiseln im Irak: Öffentliches Desinteresse
Archivmeldung vom 15.02.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt"Bitte helft uns”, sollen René Bräunlich und Thomas Nitschke gefleht haben. Man kennt nur das Foto von den Geiseln im Irak, sie knien unter den Waffen ihrer Entführer. Es ist das dritte Bild von den Ingenieuren. Dem zweiten vom 31. Januar folgte ein Ultimatum, das verstrich, ohne dass die Regierung Kontakt zu den Entführern aufnehmen konnte.
Die Männer hätten schon tot sein können,
bestialisch geköpft, aber nun gibt es die Hoffnung, dass sie noch
leben und zugleich die Sorge, dass sie doch ermordet werden –
geköpft, erschossen. Man will nicht darüber nachdenken.
Offensichtlich will man wirklich nicht darüber nachdenken. Das
Interesse der Öffentlichkeit, das sich in vergleichbaren Fällen in
Frankreich oder Italien in verzweifelter Medienberichterstattung und
Mahnwachen spiegelt, ist sonderbar gering. Das war schon so, als
Susanne Osthoff entführt wurde. Wie von selbst tauchte irgendwann die
Frage auf, warum die meisten Deutschen so wenig Anteilnahme zeigten,
und stand verloren im öffentlichen Raum.
Der Versuch einer Antwort, das muss man im Nachhinein sagen,
konzentrierte sich fatalerweise auf das Opfer. Osthoffs kompliziertes
Leben wurde durchleuchtet, die überforderte Familie gab Auskünfte.
Auf einmal wusste die Republik unglaublich viel Privates über eine
Person, die in die brutalen Wirren der Weltprobleme geraten war. Gut
ging das für Susanne Osthoff nicht aus. Einige Medien zeigten wenig
Verständnis für ihre verstörte Verfassung nach der Befreiung. „Bild”
beschrieb einen „irren” TV- Auftritt und Reinhold Beckmann mühte
sich, irgendeine Logik aus Osthoff herauszufragen.
Im Fall der Ingenieure wird nicht mehr versucht, eine öffentliche
Antwort auf das öffentliche Desinteresse zu finden. Manche Bürger in
Ostdeutschland haben ihre eigene Erklärung: „Es sind ja bloß Ossis.”
Das ist ein trauriger Verdacht, der seinen Anlass wohl darin findet,
dass vor allem ostdeutsche Zeitungen über die Geiseln berichten und
über die Mahnwachen in Leipzig. Wenn man sich aber an die
Hilfsbereitschaft der Westdeutschen während der Oderfluten erinnert,
kann man sich kaum vorstellen, dass dies ein Thema zwischen Ost und
West sein soll. Die westdeutsche Geisel Osthoff wurde anfangs mit
ähnlichem Gleichmut behandelt. Man kann nur mutmaßen, warum die
Spendenweltmeister so verhalten reagieren. „Bitte helft uns” –
vielleicht, weil kein Bürger helfen kann, nicht einmal mit Spenden.
Oder weil man sich daran gewöhnt hat, dass die Terroristen unablässig
neue Opfer vor ihre Videokameras zwingen. Wo aber liegt der
Unterschied zu anderen Ländern? Möglicherweise ist es auch so, dass
viele Deutsche sich scheuen, um ihre Landsleute in besonderer Weise
zu fürchten, weil nationales Zusammengehörigkeitsgefühl oder
Vaterlandsliebe noch immer mit unguten Gedanken behaftet sind.
Möglichweise fürchtet und hofft man hierzulande stiller.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung