FZ: Den Rubikon überschritten
Archivmeldung vom 18.02.2012
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNun kommt es so, wie es Christian Wulff noch vor fünf Wochen beim Neujahrsempfang für seine Mitarbeiter prophezeit hatte: Das "Stahlgewitter" der Medien sei bald vorbei, in einem Jahr werde "das alles vergessen" sein, hat er - so wird es kolportiert - vor versammelter Mannschaft im Schloss Bellevue über die Vorwürfe gegen ihn gesagt. Damit wird er jetzt wohl Recht behalten, nur hatte er zu diesem Zeitpunkt, bereits der Realität entrückt, noch geglaubt, alles aussitzen zu können. Eine Fehleinschätzung, wie wir seit gestern wissen.
Bundespräsident Wulff ist nach nur 598 Tagen im Amt Geschichte - und sein unsouveräner Abgang zeigte einmal mehr, dass er dem Amt nicht gewachsen war. Kein mea culpa, weder ein Wort des Bedauerns noch der Entschuldigung. Stattdessen die Betonung, stets aufrichtig gewesen zu sein, und der Hinweis auf Verletzungen durch die Medien.
Immer aufrichtig? Noch in einer Situation, in der nichts mehr zu retten ist, verkriecht sich Wulff in der Opferrolle, so wie es von Anfang an seine Verteidigungsstrategie war. Dabei ist längst offenkundig, dass Wulff selbst den von ihm zitierten Rubikon überschritten hat, indem er sich immer wieder auf riskante Handlungen einließ: von Gratisurlauben bei Unternehmern und dem günstigen Hauskredit der Kaufmannsgattin bis hin zur dubiosen Einladung in ein teures Hotel auf Sylt. Wulff hätte vielleicht eine Chance auf eine Zukunft in Schloss Bellevue gehabt, wenn er mit der Wahrheit offensiv umgegangen wäre. Er aber flüchtete sich in Ausreden, verschleierte, ließ seine Anwälte lebensfremde Erklärungen liefern. Die Staatsanwaltschaft, davon darf man ausgehen, wird es sich - wohl wissend um die Konsequenzen - nicht leicht gemacht haben, als sie vorgestern die Aufhebung seiner Immunität beantragte, um endlich Licht ins Dunkel zu bringen.
Dabei steht außer Frage: Wie für jeden Bürger in unserem Land gilt auch für Wulff die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen ist. Aber selbst wenn am Ende zweifelsfrei feststehen sollte, dass der Niedersachse nicht gegen Gesetze verstoßen hat, bleibt sein Rücktritt im Sinne der politischen Kultur eine Notwendigkeit. Wulff hat die Maßstäbe verloren, die für den ersten Mann im Staate gelten müssen. Er steht für den Typus der "Volksvertreter", die die Politikverdrossenheit im Land fördern. Den Medien die Schuld für den Rücktritt zuschieben zu wollen, ist billig. Sie haben nur ihre Pflicht getan.
Was sind die Lehren aus dem Desaster? Eine Position wie die des Bundespräsidenten allein nach machtstrategischen Erwägungen der Kanzlerin zu besetzen, widerspricht dem Geist des höchsten Staatsamtes. Insofern ist der Rücktritt Wulffs auch eine Niederlage für Angela Merkel, die nach Horst Köhler schon mit zwei Präsidenten gescheitert ist. Das Volk hätte Joachim Gauck gewählt - und das wäre, auch wegen Wulffs Unvermögen, als Bundespräsident wichtige Akzente zu setzen, die bessere Wahl gewesen. So ist die Causa Wulff zugleich ein gutes Argument für eine Direktwahl des Präsidenten. Bernd Loskant
Quelle: Fuldaer Zeitung (ots)