Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Preiserhöhung bei Milchprodukten
Archivmeldung vom 02.08.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFast scheint es so, als hätten Deutschlands Bauern seit ein paar Tagen statt der Kühe die Verbraucher selbst an die Melkmaschinen gehängt. Bis zu 50 Prozent Preiserhöhung für Butter, Milch und Quark: Eine solche Nachricht provoziert natürlich Ärger - so viel Ärger, dass selbst die größte Kuhhaut dafür nicht mehr ausreicht. Gönnt der Bauer etwa dem Hartz-IV-Empfänger nicht die Butter auf dem Brot?
In Wirklichkeit war der Milchbauer bislang das Aschenbrödel einer
durch den jahrzehntelangen Strukturwandel gebeutelten Landwirtschaft.
Wer aufmerksam durch die Dörfer fährt und einen Blick in die leeren
Ställe wirft, kann die Folgen sehen. Lange Zeit schien es, als ginge
es mit der Landwirtschaft in Deutschland nur noch bergab. Erst der
steigende Wohlstand in Osteuropa und Asien sowie der wachsende Hunger
nach alternativen Energien haben vor kurzem für eine Trendwende
gesorgt.
Die Bauern ernten jetzt, was sie dadurch, dass sie sich mit Hilfe von
Milchquote und anderen Prämien viele Jahre als Berufsstand
einschränkten, ausgesät haben. Die Milchseen und Butterberge, die in
vielen Steuerzahlerköpfen noch als ein von der EU finanziertes
Schlaraffenland existieren, gibt es schon lange nicht mehr.
Ein Teil der Felder, die die Getreideüberschüsse produzierten, ist
stillgelegt. Die wachsende Zahl der Biobauern produziert heute
weniger Lebensmittel - in besserer Qualität. Nur beim Wein werden vor
allem in Südeuropa noch viel zu viele gute Tropfen in die
Destillation gegeben.
Preiserhöhungen, in Prozentzahlen gemessen, sind immer relativ. Um
sich ein kleines Auto zu finanzieren, musste der Landwirt vor 30, 35
Jahren im Vergleich zu unserer Zeit fast das Zehnfache an Getreide
produzieren. Selbst nach der 50-prozentigen Preiserhöhung kostet der
Liter Milch heute nicht mehr als vor 25 Jahren.
Für den armen Teil der Bevölkerung, der schon die Anhebung der
Mehrwertsteuer, die Eigenvorsorge für das Alter sowie die höheren
Transport- und Heizkosten zu verdauen hat, summieren sich die
Preiserhöhungen dieses Jahres in einem erschreckenden Maß. Aber
welcher Normalverdiener muss deshalb auf die Sahne im Kaffee
verzichten? Mancher dicke Körper freut sich vielleicht sogar, wenn er
demnächst, wenn auch die Fleischpreise spürbar anziehen, mit einem
Vegetariertag konfrontiert wird.
Mit ihren Aufsehen erregenden Protestaktionen, bei denen sie
Billigmilch kostenlos vor den Discountmärkten verteilten, haben die
Bauern den Boden für die jetzigen Preiserhöhungen vorbereitet. Viele
zeigen Verständnis dafür, dass gute Lebensmittel besser bezahlt
werden müssen. Dass sie dabei auch auf eine Senkung der Subventionen
hoffen, ist selbstverständlich.
Die grundsätzliche Zustimmung wird sich aber schnell ins Gegenteil
verkehren, wenn sich der Eindruck verstärkt, dass der größte Teil der
Preiserhöhungen gar nicht beim Landwirt ankommt. Melken lassen will
sich der Verbraucher nicht - auch nicht von Molkereien oder
Handelsketten, die ihre Preise eventuell untereinander absprechen.
Quelle: Pressemitteilung Westfalen-Blatt