WAZ: Über die Christiansen-Nachfolge: Anne Will
Archivmeldung vom 06.02.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittVon jetzt an hat Anne Will kein Privatleben mehr, oder anders: Alles, was bei Normalmenschen privat ist und bleibt, wird bei ihr öffentlich. Denn Anne Will, schon heute bekannt, ist ab jetzt ein richtiger "Promi".
Ein Glas Sekt zu viel, einmal einfach
nur so dumm aus der Wäsche geschaut, oder auch ein Partnerwechsel: Es
gibt hinreichend viele Sende- und Druckstationen, für die derlei eine
"Nachricht" darstellt. Aber was soll's: Anne Will ist seit vielen
Jahren im Geschäft, sie hat gelernt, mit ihrer eigenen Bedeutung
umzugehen, und schließlich: Sie wollte den Job.
Leicht wird es nicht. Schon gar nicht in diesen großkoalitionären
Zeiten. Das Berliner Bündnis bewegt sich mit der Geschwindigkeit
einer Schnecke und der Anmut einer Schildkröte; für das Fernsehen mit
seinen immer schneller werdenden Schnitten und der der Konkurrenz
geschuldeten zunehmenden Ästhetisierung seiner Bilder ist da erst mal
nicht so viel zu holen. Das hat schon Christiansen erfahren müssen.
Einigermaßen verstört, dass die Sendergewaltigen offenbar lange
geredet haben über Köpfe, aber nur kurz oder eben gar nicht über
Konzepte. Genau das aber würde lohnen: Längst ist die Themen-Auswahl
bei Christiansen mehr oder weniger langweilig, die Gesprächspartner
berechenbar, oder - siehe oben - eben so wie die Große Koalition ist.
Hier wären Kreativität und Courage dringend erforderlich.
"Christiansen" ist als "Ersatz-Parlament" kritisiert worden. Das
war die Sendung nie. Tatsächlich ist eine Talkshow nur zum
allergeringsten Teil Information. Das Fernsehen ist nun einmal ein
Unterhaltungsmedium, das aus der Kraft seiner Bilder weitaus stärker
lebt als von der seiner Wörter. Im Übrigen: Wer sich über die
mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit für den Deutschen Bundestag
beklagt, der sollte seine Kritik nicht ans Fernsehen wenden, sondern
ans Parlament selbst. Wenn sich mehr Menschen für Fernseh-vermittelte
Politik interessieren als für die Politik selbst, dann steckt
dahinter auch ein Auftrag an den Bundestag, nämlich: attraktiver zu
werden. Schließlich: Wie oft bleiben denn die Abgeordneten selbst
ihrem Arbeitsplatz fern?
Will ist kühl. Sie weiß, dass eine Sendung nicht das
Polit-Seminar der Nation sein kann. Das liegt an den
unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Politik ist zäh, also langsam.
Fernsehen muss spannend, also schnell sein. Da das Fernsehen aber die
Spielregeln der Politik, ihre komplizierten Entscheidungswege, nicht
verändern kann, wird auch Wills Sendung bleiben, was "Christiansen"
war: eine große Illusion.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung