Rheinische Post: Bloß keine Renaissance der Praxisgebühr
Archivmeldung vom 08.09.2019
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Freigeschaltet durch André OttIn einem Punkt hat Kassenarzt-Chef Andreas Gassen recht: Die Deutschen gehen zu oft zum Arzt. In den meisten EU-Ländern kommen die Bürger mit deutlich weniger Besuchen aus, den Balten reichen sogar halb so viele. An der Diagnose, die Experten schon vor Jahrzehnten stellten, hat sich also nichts geändert: Das deutsche Gesundheitssystem leidet gleichzeitig an Über-, Unter- und Fehlversorgung.
Immer wieder wird versucht, die Patientenströme zu steuern. Die Praxisgebühr, mit der sich Ministerin Ulla Schmidt einst unbeliebt machte, war dazu jedenfalls nicht geeignet. Sie kassierte Patienten nur ab, ohne eine lenkende Wirkung zu entfalten. Ähnlich wirkungslos dürfte die Pille sein, die nun Gassen gegen volle Wartezimmer verschreibt. Er will eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter Kassenpatienten errichten: Wer viel zahlt, darf sich beliebig viele Fachärzte aussuchen. Wer wenig zahlt, darf erstmal nur zum Hausarzt. An dem grundsätzlichen Problem ändert das nichts, dass bei der medizinischen Versorgung die Gesetze des Marktes nicht funktionieren.
Allzu oft schafft sich das Angebot selbst seine Nachfrage - und zwar vor allem bei Fachärzten. Welcher Patient sagt schon nein, wenn der Arzt eine ergänzende Untersuchung hier oder vorsorgende Therapie dort empfiehlt? Kein Wunder, dass Deutschland Europameister bei Rücken-, Hüft- und Knie-Operationen ist. Dieses Problem würde nur ein System lösen, das konsequent auf Selbstbeteiligung setzt. So würde man auch die (hypochondrischen) Patienten treffen, die mit überflüssigen Arzt-Besuchen die Wartezimmer blockieren. Umso wichtiger ist es, dass Patienten bei planbaren Eingriffen eine kostenlose Zweitmeinung einholen können. Damit wird wenigstens etwas Wettbewerb um gute Versorgung geschaffen. Dieses Recht darf den Kassenpatienten nicht genommen werden.
Quelle: Rheinische Post (ots) von Antje Höning