BERLINER MORGENPOST: Jetzt reicht schon ein Kurzschluss
Archivmeldung vom 16.12.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.12.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSchnee und Eis haben Berlin noch nicht einmal erreicht, da bricht in der Millionenstadt erneut für Stunden der S-Bahn-Verkehr zusammen. Zehntausende Fahrgäste stehen frierend auf den Bahnsteigen, Hunderte sind gar gefangen in den Zügen, die auf freier Strecke stehen blieben. Was mag uns erst erwarten, wenn der Frost kommt, werden sich da viele von ihnen gefragt haben. Schlimme Erinnerungen an die Winter der vergangenen drei Jahre werden da wach, als wochenlang Züge ausfielen oder nur mit Verspätung fuhren. Dass es nun ein simpler Kurzschluss gewesen sein soll, der am Donnerstag fast alle S-Bahn-Züge zum Stehen brachte, dürfte kaum zu Beruhigung der Gemüter beitragen.
Wie zuverlässig kann denn ein technisches System sein, wenn es so leicht und mit so gravierenden Folgen ins Wanken gebracht werden kann? Warum haben wichtige Schaltzentralen offensichtlich keine Notfallsystem? Und warum gelingt es einem Weltkonzern wie der Deutschen Bahn, der in den Scheichtümern am Persischen Golf komplette Eisenbahnverkehrssysteme aufbauen will, nicht, ausgerechnet in der Hauptstadt des Heimatlandes einen verlässlichen Zugverkehr zu gewährleisten? Denn der Vorfall am Donnerstag ist ja kein Einzelfall, sondern steht in einer langen Reihe von Pleiten, Pech und Pannen bei der S-Bahn. Richtig ist, nicht immer war die Bahn selbst schuld an den vielfältigen technischen Problemen. Auch die Hersteller von störanfälligen Zügen und die Zulieferer von Bauteilen trugen ihr Scherflein bei. Dennoch: Die Hauptverantwortung für das aktuelle Desaster trägt die Deutsche Bahn, die sich ja selbst als integriertes Unternehmen versteht, das eine Komplettleistung anbietet. Bahnchef Rüdiger Grube hat in der Vergangenheit wiederholt beteuert, dass er alles dafür tun werde, dass die S-Bahn wieder so zu verlässig fährt, wie es die Berliner über viele Jahrzehnte gewohnt waren. Inzwischen kann dem bundeseigenen Konzern nicht einmal vorgeworfen werden, zu wenig Geld in ihr Tochterunternehmen S-Bahn und in die Infrastruktur zu investieren. Mehr als 100 Millionen Euro kosten allein die Programme, mit denen seit zwei Jahren versucht wird, die Fahrzeugflotte des krisengeschüttelten Unternehmens zu modernisieren. Doch haben wirklich alle Bahnverantwortlichen den Ernst der Lage verstanden? Das darf jetzt bezweifelt werden: Denn Störungen in Stellwerken und bei der Signal- und Sicherungstechnik hat es in den vergangenen Monaten bei der S-Bahn mehrfach gegeben. Doch auch die Politik ist gefordert, Worten endlich Taten folgen zu lassen. Der Berliner Senat muss die seit mehr als einem Jahr anhaltende Hängepartie beenden und klar sagen, wie er den S-Bahn-Betrieb im Interessen der täglich mehr als eine Million Nutzer künftig organisieren will. Mehr Qualität und Zuverlässigkeit, so zeigen die Erfahrungen der Bundesländer etwa bei der Vergabe von Leistungen im Regionalverkehr, lassen sich vor allem mit einem kontrollierten Wettbewerb und klar formulierten Verkehrsverträgen erreichen. Diese müssen gute Angebote honorieren und Fehlleistungen spürbar sanktionieren. Neuerliche Appelle an die Bahn, den Laden in Ordnung zu bringen, reichen schon lange nicht mehr aus.
Quelle: BERLINER MORGENPOST (ots)