Leipziger Volkszeitung zum Friedensnobelpreis
Archivmeldung vom 14.10.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAls 2001 Kofi Annan und die Vereinten Nationen den Friedensnobelpreis erhielten, da wusste die Welt Bescheid. Der UN-Generalsekretär ist schließlich bekannt als Streiter für die friedliche Lösung von Konflikten, wo auch immer sie auftreten.
Als 1971 Willy Brandt für seine Ostpolitik geehrt wurde, 1983 Lech
Walesa für die Gründung der Solidarnosc und 1990 Michail Gorbatschow
für die Öffnung der Sowjetunion, da beherrschten große
Systemkonflikte den Globus. Das Aufbrechen der Strukturen des Kalten
Krieges und letztlich des Eisernen Vorhangs durch herausragende
Persönlichkeiten dieser Zeit wurde vom Nobelkomitee zu Recht
gewürdigt. Solche charismatischen Friedensstifter und Vermittler, zu
denen an vorderer Stelle auch der Südafrikaner Nelson Mandela gehört,
Preisträger von 1993, sind aber heute rar. Im Nahost-Konflikt, wo
eine anerkannte Autorität dringend nötig wäre, ist weit und breit
niemand mit diesen Qualitäten auszumachen.
Eine Ebene darunter gibt es schon einige Politiker, die sich, wie
der finnische Ex-Präsident Martti Ahtisaari, in zahlreichen
Konflikten als Mittler wacker geschlagen haben. Dass er zurzeit bei
den Kosovo-Statusverhandlungen nicht wie gewünscht vorankommt, liegt
nicht an ihm, sondern an den verhärteten Fronten zwischen Serben und
albanischen Kosovaren.
Dennoch hat sich das Osloer Komitee nicht für den als Favoriten
gehandelten Ahtisaari entschieden, sondern für den weithin
unbekannten Wirtschaftsfachmann Mohammed Junus aus Bangladesch und
die Grameen Bank. So überraschend, wie nun viele meinen, kommt diese
Entscheidung allerdings nicht. Denn im Grunde folgt das
Vergabegremium schon seit längerem und in letzter Zeit sogar
verstärkt auch dem Trend, diejenigen zu ehren, die den Frieden von
unten wachsen lassen. Dafür stehen die iranische Frauenrechtlerin
Schirin Ebadi, die den Preis 2003 entgegennahm, und die kenianische
Umweltaktivistin Wangari Maathai, die ein Jahr danach geehrt wurde.
Die Welt hat sich gewandelt, und Frieden bedeutet nicht mehr nur das
Ende von Krieg, das Schweigen der Waffen.
Das Nobelkomitee folgt daher in nachvollziehbarer Weise einem weit
gefassten Friedensbegriff. Dazu gehört Armutsbekämpfung als wichtige
Ursache von Konflikten. Mit seinen Kleinstkrediten vor allem an
Frauen in einem der ärmsten Länder der Welt gibt Junus jenen Menschen
Hilfe zur Selbsthilfe, die von keiner anderen Bank auch nur einen
Cent erhielten. Der Bankier der Armen ist selbst als
Entwicklungshelfer aktiv geworden und hat nicht auf den Staat
gewartet. Sein Modell macht inzwischen in vielen Ländern Schule.
Ein sozial engagierter Unternehmer als Friedensnobelpreisträger, das ist neu und bereichert die Liste der Geehrten. Eine mutige und herausfordernde Entscheidung des Osloer Komitees, die hoffentlich ihre Signalwirkung nicht verfehlt.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung