Westdeutsche Zeitung: Symbolpolitik mit Guantánamo
Archivmeldung vom 23.12.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.12.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn Glaubwürdigkeit die Währung für politisches Vertrauen ist, hätte Frank-Walter Steinmeier besser geschwiegen. Ausgerechnet der Außenminister drängelt sich vor, dem künftigen US-Präsidenten Barack Obama die Aufnahme unschuldiger Guantánamo-Häftlinge anzubieten.
Ausgerechnet Steinmeier, der sich als Kanzleramtsminister geweigert hatte, Murat Kurnaz nach Deutschland zu holen, obwohl die Amerikaner diesen nicht länger für einen islamistischen Terroristen gehalten hatten. Wenn der Kanzlerkandidat der SPD dieses unrühmliche Kapitel vergessen machen will, sollte er sich beim Thema Guantánamo besser zurückhalten. Die Versuchung scheint allerdings zu groß zu sein, die Beseitigung dieses Schandflecks der Ära Bush für innenpolitische Zwecke auszunutzen. Die Deutschen sind nicht die Einzigen, die schon Schlange stehen, um Gefangene aufzunehmen, die erwiesenermaßen zu Unrecht im amerikanischen Internierungslager auf Kuba festgesetzt wurden. Eine solche Grußbotschaft an den neuen US-Präsidenten ist schließlich leichter zu verkaufen als eine Ausweitung der Truppen in Afghanistan. Wenn der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, einzelne Volksgruppen wie die Uiguren herausgreifen will, driftet das Thema vollends in politische Folklore ab. Aus diesem zweifelhaften Vorschlag kann man nur ableiten, dass Islamisten offenbar dann unsere Unterstützung verdienen, wenn sie vom chinesischen Reich des Bösen verfolgt werden. Das innenpolitische Gerangel um unschuldig inhaftierte Guantánamo-Flüchtlinge, die nicht in den USA bleiben wollen, lenkt freilich von der Kernfrage ab: Kann Barack Obama der amerikanischen Anti-Terrorismus-Politik wieder eine moralische Grundlage verschaffen? Das Problem stellt die Gruppe der Flüchtlinge dar, die weiterhin als gefährlich eingestuft werden, die aber nach den rechtsstaatlichen Regeln der USA vor ordentlichen Gerichten wohl nicht verurteilt werden können. Schon macht das Gerücht die Runde, die neue Obama-Administration wolle für diese Häftlinge Sondergerichte auf US-Boden einrichten, die die Rechtlosigkeit der Angeklagten fortschreiben würden. Wenn Glaubwürdigkeit die Währung für politisches Vertrauen ist, . . .
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Friedrich Roeingh)