WAZ: China vor den Spielen
Archivmeldung vom 29.07.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.07.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittPeking ist in diesen Tagen eine Stadt der zwei Wahrheiten. Breite Straßen und Plätze, neue Parkanlagen, schicke Wohnviertel, neue U-Bahnlinien, die das Fortkommen erleichtern, prägen Chinas Metropole. Kühne Bauten ragen in den Himmel. Peking ist so sauber, so frisch angemalt, so grün wie nie und - ohne das Gehämmer und Bohren der nun stillgelegten Baustellen - so ruhig wie seit Jahrzehnten nicht.
Hohe Fotowände mit Bildern von Blumen, Wäldern und Olympia-Motiven verdecken unschöne Brachen. Der Smog hängt zwar noch in der Luft, wird sich aber, da sind die Pekinger hoffnungsvoll, bis zu den Spielen am 8. August verziehen.
Das ist die eine Wahrheit, die chinesische und internationale
Journalisten beschreiben sollen, wenn es nach dem Willen der Pekinger
Behörden geht. Die andere Wahrheit ist hässlicher und soll unter dem
Deckel bleiben: Hunderttausende Wanderarbeiter, die sonst die Straßen
und Plätze bevölkerten, mussten in andere Städte weiterziehen.
Bittsteller werden abgedrängt. Kritische Geister - wie der
Bürgerrechtler Hu Jia - sitzen im Gefängnis, andere wurden aus Peking
verschleppt, damit sie nicht mit ausländischen Korrespondenten
sprechen können.
Doch die vielen ausländischen Journalisten werden sich nicht mit
dem Propagandabild zufrieden geben. Sie wollen knackige Geschichten.
Konflikte sind programmiert, Chinas Funktionäre verstehen scharfe
Fragen als Beleidigung, schlüssige Antworten gehören nicht in ihr
Konzept, wie sich in den letzten Wochen immer wieder auf drögen
Olympia-Pressekonferenzen gezeigt hat. Sie haben nichts von den
Erfahrungen in Sichuan gelernt. Dort durften Journalisten zumindest
in den ersten Tagen ohne Gängelei nach der Wahrheit suchen. Das
Ergebnis waren Berichte, die von Sympathie, Mitgefühl und Respekt
getragen waren. Stattdessen werden Journalisten nun in Peking als
Nörgler und Störenfriede angesehen.
Würden die Politiker mehr Offenheit wagen und Kritik gelassener
hinnehmen, könnten sie die Welt für sich einnehmen mit ihrer - für
ein Land der Dritten Welt - erstaunlich gut geführte Hauptstadt. Doch
Proteste wollen sie in Parks verbannen, ob sie Kundgebungen überhaupt
erlauben, bleibt fraglich. Die KP will der Welt perfekte Spiele
zeigen, ein perfektes China, eine perfekte Hauptstadt. Dafür räumen
sie alles aus dem Weg, was dieses Bild stören könnte. Das alles
spricht für perfekte Spiele und nicht für eine fröhliche Begegnung
von Sportlern aus aller Welt. Womöglich werden die Funktionäre eine
große Chance verpassen.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Jutta Lietsch)