WAZ: Steuer-Affäre: Elite? Welche Elite denn?
Archivmeldung vom 19.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNun hat die Republik ihr Megathema, einen Steuer-Skandal, der seinesgleichen sucht, der im Ausmaß erschreckend ist und der ausgerechnet mit einem Vorzeige-Saubermann aus der Chefetage seinen Anfang nahm. Klaus Zumwinkel, vor laufenden Kameras aus der Kölner Villa Raffzahn geführt, gibt der Debatte ihren Spin: Die Wirtschaftselite versagt auf breiter Front.
Das passt ins Bild, seitdem Jürgen Schrempp Daimler arm und sich
reich machte, seitdem bei Siemens die Korruptionsfahnder streng
Riechendes am laufenden Band zu Tage fördern. Was aber hat das eine
mit dem anderen zu tun? Nicht viel.
Selbst der gekrampft wirkende Versuch, den Skandal der Reichen
als das Versagen der Elite hochzujazzen, zeigt einmal mehr: Wenn die
Deutschen etwas skandalisieren, dann richtig. Wie kommen wir
eigentlich dazu, diejenigen, die so viel Geld haben, dass sie in den
Genuss einer Liechtensteiner Stiftung mit einer Mindesteinlage von
einer Million kommen, als Elite im Sinne einer Führungsschicht zu
bezeichnen?
Zumwinkel hat Steuern hinterzogen, ein Manager eines großen
Konzerns. Auch einige Mittelständler sollen sich auf Liechtensteiner
Gefilden getummelt haben, regionale Promis, vielleicht Sportler und
Künstler. Nehmen wir einmal an, der Fall hätte nicht mit Zumwinkel
begonnen, sondern mit einem der besser verdienenden Balltreter aus
dem Oberhaus des deutschen Fußballs.
Hätte sich die Kanzlerin mit anderen Bundesliga-Spitzenkräften
verabredet, um über die Rettung der sozialen Ballwirtschaft zu reden?
Hätten die politischen Spitzenkräfte ebenso laut nach einer
Verschärfung der Gesetze gerufen, weil zehn Jahre Höchststrafe bei
dieser allgemeinen Aufregung als allzu milde erscheinen, obwohl
mancher Totschläger billiger wegkommt? Es soll sogar schon Politiker
gegeben haben, die es mit dem Steuerrecht nicht allzu ernst genommen
haben.
Womöglich haben wir es nicht mit einer Systemkrise zu tun,
sondern mit einer Krise von Anstand und Ehrlichkeit - kompakt auf
eine CD gepresst. Es gibt nichts zu entschuldigen. Eine
Fingerzeig-Debatte auf "die da oben", die erklärt nicht das tief
sitzende Ungerechtigkeitsgefühl, das die Globalisierung hervorruft.
Top-Manager schwimmen wie Kapital auf der Welle der
Internationalisierung: heute hier, morgen dort. Sie sind die Gewinner
der Zeit, und tragen daher im Sinne einer Elite besondere
Verantwortung. Wie im Übrigen die Politik auch, die sich vor Parolen
hüten sollte.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Thomas Wels)