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Börsen-Zeitung: "Ende eines Experiments"

Archivmeldung vom 10.02.2018

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 10.02.2018 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Wer eine rasche Beruhigung nach dem Flash Crash in New York zu Wochenanfang erwartet hat, sieht sich enttäuscht: Die Aktienkurse sind nach kurzer Erholung wieder unter Druck geraten. Die Korrektur von gut 10% seit dem Rekord Ende Januar gemessen am S&P 500 ist in den Augen von William Dudley, Chef der New York Fed, aber unbedeutend - "Small Potatoes". Es ist zu hoffen, dass es sich hier nicht um eine Neuauflage legendärer "Peanuts" handelt.

Verschiedene Dinge kommen in der Korrektur zusammen. Nicht zuletzt eine größer werdende Zahl von Marktteilnehmern, die eine neue Marktphase mit steigender Inflation erwarten, ausgehend von den USA. Da Kurse im Orderbuch "an der Grenze" gemacht werden, reicht es, wenn einige Akteure nicht mehr bereit sind, zu den hohen Bewertungen noch in den Markt einzusteigen. Diese gehen wohl davon aus, dass die Zinsen über einen längeren Zeitraum und kontinuierlich steigen dürften. Bisher wurde vielleicht nur von ein, zwei Zinsschritten ausgegangen. Resultieren daraus steigende Realzinsen, schmälert dies den Barwert der künftigen Gewinne der Unternehmen, und die Bewertung sinkt - die Aktienkurse fallen.

Skeptiker warnen seit Jahren, auf die schrittweise Liquiditätsdrosselung durch die Notenbanken seien viele Marktteilnehmer, wenn es dann dazu kommt, nicht vorbereitet. Da die Bewertungen immer höher gestiegen sind, könnte das Ende dieses Experiments zu weiteren Turbulenzen führen, weil die Effekte daraus unterschätzt werden. Hinzu kommt die Neigung zu "Deficit Spending" in wichtigen Wirtschaftsregionen, was Sorgen vor einer Geldentwertung befeuert.

Die bisherige Korrektur kam abrupt, ist aber bisher moderat: Der S&P 500 ist auf den Stand von November zurückgefallen. Das (erwartete) Auslaufen der Wertpapierkaufprogramme großer Notenbanken stellt den Beginn des Endes des größten geldpolitischen Experiments moderner Wirtschaftsgeschichte dar. Es ist gut möglich, dass der Markt angesichts dieser Dimension noch heftiger reagieren wird. Niemand weiß, ob die unerwünschten Nebeneffekte sichtbar werden, wenn die enorme Liquidität wegfällt.

Die Veröffentlichung des US-Konsumentenpreisindex am Mittwoch gilt darum als bedeutsam. Jim Reid, Ökonom bei der Deutschen Bank, geht davon aus, dass sich dann entscheiden dürfte, ob der Bullenmarkt eine Fortsetzung findet oder ob die Korrektur weitergeht, sprich eine neue Zeitrechnung beginnt.

Abrupte, heftige Kursveränderungen sind ein Zeichen, dass neue Informationen verarbeitet werden. Hinzu kommt ein technischer Faktor: Das Ende der Ära üppiger Liquiditätszufuhr dürfte die Schwankungsbreite der Kurse - die Volatilität - erhöhen. Die Volatilität war zuvor über viele Jahre hinweg stetig gesunken. Experten verwiesen als Ursache dafür auch auf die quantitative Lockerungspolitik der Notenbanken.

Am vergangenen Montag machte der Chicagoer Volatilitätsindex Vix nun den größten je verzeichneten Sprung nach oben. Auch in Frankfurt zog der VDax New an. Es muss sich zeigen, ob es sich um eine Episode handelt oder ob die Volatilität dauerhaft höher bleibt. Es muss sich auch zeigen, was dies dann für die riesige Zahl an Finanzprodukten bedeuten würde, die inzwischen mit Volatilität verknüpft sind. Erfahrene Fondsmanager halten sie für sehr komplex, da sie teils "Derivate auf Derivate" darstellen. Kommt Fremdfinanzierung ins Spiel, könnten daraus ungewollte Ansteckungseffekte resultieren, weil etwa am Kassamarkt Zwangsverkäufe nötig werden.

Wie groß die mit Volatilität verknüpften Anlagesummen sind, ist unklar. Schätzungen reichen laut Bloomberg bis 2 Bill. Dollar. Sie entfallen auf Strategien, die Anlagen nach Risikobeitrag gewichten (Risk Parity), oder auf Volatilitätszielfonds, Hedgefonds oder Exchange Traded Products (ETP). Société Générale schätzt dabei die mit dem Vix verbundenen ETP auf "nur" 8 Mrd. Dollar Volumen.

Es gibt aber Marktteilnehmer, die hier Ansteckungseffekte befürchten. Ein Indiz war der Kurseinbruch der Aktien der Credit Suisse am Dienstag. Die Bank hat eine börsengehandelte Schuldverschreibung ausstehend, Velocity Shares Daily Inverse VI (XIV). Nach dem Rekordsprung des Vix brach deren Wert um 90% ein (vgl. Grafik). CS habe so einen substanziellen Handelsverlust erlitten, wurde kolportiert. Die Bank dementierte - sie sei abgesichert gewesen. Wie im Prospekt dargelegt wird das Produkt nun zu einem Bruchteil des früheren Werts aus dem Handel genommen. Erleiden nun weitere Vola-Produkte ein ähnliches Schicksal, wird das den Markt belasten.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Dietegen Müller

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