Berliner Morgenpost: Noch einmal bewegt Jackson Millionen
Archivmeldung vom 08.07.2009
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.07.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNoch einmal ist Zahltag in Neverland. Am Tode Michael Jacksons verdienen die Würstchen- und Devotionalienverkäufer vor den Toren des künstlichen Paradieses in Santa Barbara; die Plattenfirma Sony Music - die zuletzt den Kontakt zu dem schwierigen Vertragspartner abgebrochen hatte - macht unverhofft Reibach mit den alten CDs (und mit Downloads obendrein), und sogar der im Testament nicht berücksichtigte Vater Joseph hofft mit einer flugs gegründeten Plattenfirma auf ein fettes Geschäft: "Wir haben viele tolle Künstler", versichert der böse alte Marketender.
Der Tragödientod der größten Diva der Welt funktioniert beinahe so, als hätte niemand "Krise" gerufen. Der lebende Michael Jackson war selbst in den Abschwung geraten; sein letztes Album erschien im Jahr 2001 und war eine kommerzielle Enttäuschung (eine künstlerische sowieso). Immerhin erlebte er noch den Ansturm auf die 700000 Karten für die avisierten Konzerte in London. Doch erst die mehr oder weniger schöne Leiche erlöst die Musikindustrie nun aus ihrem Scheintod: Jackson verkauft auf allen Vertriebswegen, in allen Formaten und Konfigurationen - eine von "Bild"-Lesern zu Jackos 50.Geburtstag zusammengewünschte CD-Compilation führt die deutschen Verkaufscharts an, für die schlichte Original-CD von "Bad" aus dem Jahr 1987 muss man heute schon mal 150 Euro zahlen. Für die malade Musikindustrie müsste es darum gehen, einen, zwei, viele Jacksons zu erschaffen. Aber sie hat nur noch Madonna. Und die möglichen Nachfolger senden aus ihren Übungskellern direkt ins Internet. Noch fangen die Plattenfirmen die Talente ab, wenn sie eine Million Mal angeklickt wurden. Aber das wird nicht so bleiben. So ist dieses kitschige Menschheitsdrama auch der letzte Vorhang für die Old Economy. Als Eintritt für die Trauerfeier in Los Angeles sollte zunächst ein Obolus von 25 Dollar erhoben werden - schließlich wurden 11000 Tickets einfach verlost. Wiederum wollten etwa 700000 Menschen dabei sein, so sehr, dass sie auch mit einem Platz in der Meute vor der Halle einverstanden waren, wo sie allenfalls Jackson-Doubles und Fans wie sich selbst beobachten konnten. Es war wie der Blick in einen Spiegel, der sich in einem anderen spiegelt: Twitter und YouTube und das gute alte Fernsehen ermöglichten in Jetztzeit den Zugang zu einem Medienspektakel ohne Beispiel - der Moonwalk übertraf sogar die Mondlandung. 1967 hatten die Beatles zur ersten weltweiten Satellitenübertragung noch "All You Need Is Love" gesungen. Hinter den Kulissen in Los Angeles wurde vermutlich über die Verwertungsrechte an der zunächst zollfreien Veranstaltung verhandelt - es ist anzunehmen, dass die Familie Jackson eine kleine Schutzgebühr erheben wird, wenn auch von dem Requiem eine "Special Edition" auf DVD erscheinen soll. Der tote Jackson sei viel mehr wert als der lebende, frohlockte ein naturgemäß hartherziger Geschäftsmann der Plattenfirma am Tag nach Jacksons Tod. Das ist natürlich reiner Zynismus - und doch nichts als die Wahrheit. Michael Jackson hatte daran niemals einen Zweifel.
Quelle: Berliner Morgenpost