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Neue Westfälische: Merkels Neustart

Archivmeldung vom 07.11.2009

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.11.2009 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Angela Merkel glänzt auch in ihrer zweiten Amtszeit vor allem auf außenpolitischem Parkett. Das demonstrierte sie mit ihrer beeindruckenden Rede über die Kraft der Freiheit vor dem US-amerikanischen Kongress. Innenpolitisch läuft es hingegen nicht so gut. Nicht nur, weil das Chaos bei Opel Merkel kalt erwischt hat und sie sich von begeisternden transatlantischen Höhenflügen plötzlich in die Niederungen kleinteiligen Krisenmanagements begeben muss. Auch sonst holpert und stolpert Schwarz-Gelb.

Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass diese Koalition die Regierungschefin anders fordern wird als das rot-schwarze Bündnis. Es wird nicht ausreichen, vor allem zu moderieren und zu vermitteln. Angela Merkel wird stärker als bisher Farbe bekennen müssen. Schon weil der überaus vage Koalitionsvertrag mit seinen mehr als 80 Prüfaufträgen nach einer ordnenden Hand geradezu schreit. Dass die frisch geschlossenen Vereinbarungen von CDU, FDP und CSU ganz unterschiedlich gedeutet werden, verheißt ansonsten eine konfliktträchtige Zukunft. Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument der Widersprüchlichkeit. Die Liberalen wollen am großen Reformrad drehen und streben neue Systeme im Steuerrecht und in der Krankenkassenfinanzierung an. Was interessant klingen mag, schließt sich jedoch mitunter gegenseitig aus. Bei einer Kopfpauschale im Gesundheitswesen wäre der milliardenschwere Sozialausgleich aus der Steuerkasse unbezahlbar - jedenfalls wenn man ab 2011 die Steuerlast jährlich um 24 Milliarden Euro senkt, was die Koalition ebenfalls anstrebt. Dass die Kopfpauschale deshalb nicht Wirklichkeit wird, erklärt der FDP momentan die CSU. Dass kein neues Steuersystem kommt und große Steuerentlastungen noch an der Klippe des Wörtchens "möglichst" scheitern können, verdeutlicht Finanzminister Wolfgang Schäuble. Merkel hält sich bei all diesen Fragen im Hintergrund. Es wäre gut, wenn die Kanzlerin bei ihrer ersten Regierungserklärung am kommenden Dienstag die schwarz-gelben Widersprüche selbst entwirren würde. Und wenn sie die visionäre Kraft ihrer US-Rede auch auf Deutschlands Innenpolitik übertragen könnte. Immer noch überfällig ist es, den schönen Begriff der Bildungsrepublik mit konkreten Inhalten zu füllen. Bisher passt auch hier wenig zusammen. Um die elementaren Ungleichheiten in der Bildungskarriere zu beseitigen, braucht es vorrangig kein halbgares Stipendiensystem und schon gar kein Betreuungsgeld. Dafür braucht es vielmehr eine finanziell ausreichende Ausstattung von Städten und Gemeinden. Denn gerade Kinder aus Unterschichtfamilien sind auf eine qualitätsvolle ganztägige Betreuung angewiesen - sei es in der Kita oder in der Schule. Überdimensionierte Steuerentlastungen bedrohen den Ausbau solcher Fundamente. Merkel hat gesagt, dass sie die Kanzlerin aller Deutschen sein will. Auch an diesem richtigen Anspruch wird ihre erste Regierungserklärung zu messen sein.

Quelle: Neue Westfälische

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