Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Karmann-Insolvenz
Archivmeldung vom 30.10.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Uhr tickt gnadenlos weiter. Die Zeit für den Osnabrücker Autobauer Karmann läuft ab. Es bleiben nur noch wenige Stunden, um Geld in die Kassen zu bekommen. Kommen die Gespräche mit Daimler - hier sollen noch Rechnungen in zweistelliger Millionenhöhe offen sein - nicht sehr schnell zu einem Abschluss, ist Feierabend.
Aber nicht nur für den weltweit bekannten Zulieferer aus Osnabrück. Auch Mercedes könnte ein Problem bekommen, da Karmann Cabrio-Verdecke und den Unterbau für den SLK liefert. Fehlt der Nachschub, kommt die Produktion des offenen Mercedes in Bremen ins Stocken. Denn so schnell wird auch die Marke mit dem Stern weder einen Ersatzanbieter aus dem Hut zaubern noch selbst die Fertigung übernehmen können. Die Hoffnungen der restlichen Karmann-Belegschaft ruhen indessen nicht nur auf Mercedes. Volkswagen, seit jeher mit den Osnabrückern eng verbandelt - man denke nur an den legendären Karmann Ghia, das Käfer- und Golf-Cabrio - könnte sogar längerfristig für ein Überleben sorgen. Für ein entsprechendes Engagement spricht vieles. Das in Osnabrück gebündelte Know how, das Entwicklungspotential, die große Flexibilität in der Fertigung und nicht zuletzt der Preis, der fast stündlich fallen dürfte. Auch wenn das die drei Karmann-Gesellschafter bislang noch nicht eingestehen wollen. Eine wichtige Rolle kommt auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) zu. Nach dem Schulterschluss mit den VW-Oberen Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn bei der abgewehrten VW-Übernahme durch Porsche, könnten die sich jetzt auf diese Weise politisch bedanken. Auf der anderen Seite ist aber sicher, dass VW kein Geld zu verschenken hat. Dazu sind die Zeiten zu schwierig, wie sich am drastischen Gewinnrückgang der Marke in den ersten neun Monaten des Jahres zeigt. Und so könnte es durchaus sein, dass VW mit Werkzeugbau, Teilen der Entwicklung und fähigen Ingenieuren den Rahm abschöpft von Karmann, an den Fertigungsanlagen aber nicht im geringsten interessiert ist. Schließlich ist derzeit jeder Autobauer froh, die eigenen Produktionskapazitäten auch nur annähernd auszulasten. Ein Ziel, das Karmann in den vergangenen Jahren nicht mehr gelungen ist. Schon beim - vermutlich überschätzen - Zwischenhoch 2003 mit einer Reihe von Aufträgen sowie in der Folge 1000 Neueinstellungen waren Überkapazitäten und hoher Preisdruck auf dem Automarkt bekannt. Der Flop des bei Karmann gebauten Chrysler Crossfire und die durchaus verständlichen Entscheidungen einiger Hersteller (VW, Audi, Mercedes), bestimmte Fertigungen zurück in die eigenen Hallen zu verlagern, haben unter anderem zur jetzigen Situation bei Karmann geführt. Dass es jetzt gerade VW und Mercedes sind, die dafür sorgen können, dass bei Karmann die Uhr nicht abläuft, hat schon eine ganz besondere Note.
Quelle: Westfalen-Blatt