WAZ: SPD-Chef und Bundestrainer: Platzeck glänzt nicht mehr
Archivmeldung vom 04.03.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSeine gute Laune, die demonstrative Unerschütterlichkeit, selbst in krisenhaften Situationen, das Dauerlächeln, die gemütvolle Gelassenheit – man hat das stets für seine Stärke gehalten. Nun soll das alles nicht mehr gelten.
Und aus
denselben Persönlichkeitsmerkmalen, die er als anständiger Mensch
nicht abgelegt hat wie einen alten Rock, sind plötzlich Schwächen
geworden. Ist Matthias Platzeck für die SPD, was Jürgen Klinsmann für
den deutschen Fußball ist – eine verglimmende Lichtgestalt?
Gemach. Umfragen sind wetterwendisch. Sie gelten für den
Augenblick. Und sie geben eine Stimmung wieder. Unbestritten ist
allerdings, dass Umfragen eine politische Wirkung haben. Und so wird
der Umstand, dass die beiden Führungsfiguren der SPD, Platzeck und
Müntefering, innerhalb nur eines Monats dramatisch an Zustimmung
einbüßten, nicht einfach verdampfen. Mindestens wird das Klima in der
Koalition leiden. Nummer drei in der Rangfolge der Verlierer ist
übrigens die Obergrüne Künast – das Volk begreift, dass die Grünen
nicht mehr die bedeutsame Rolle aus der Zeit vor dem
Regierungswechsel spielen (können).
Münteferings Nimbus war der des Anti-Schröder: jener, der mit der
SPD tanzt. Nun ist Schröder weg (demnächst hält er einen Vortrag bei
einem Hedge-Fonds), und Müntefering darf nicht mehr trösten, sondern
muss regieren. Dabei ist es durchaus bedenklich, dass ihm die eigenen
Leute die Zustimmung bei der Rente mit 67 versagen, zeigt es doch,
dass die SPD als Ballast immer noch einen Begriff des Sozialen mit
sich herumträgt, der angesichts der demografischen Entwicklung und
der in Jahrzehnten geplünderten Kassen überholt ist. Länger zu
arbeiten, ist eine Rentenkürzung, was sonst. Aber die wiederum ist
auch nur ein Gebot der Generationengerechtigkeit, darin sind sich
Experten parteiübergreifend seit langem einig. Münteferings Fehler:
Er duckt sich weg, anstatt seine Glaubwürdigkeit in der SPD zu
nutzen, die Partei in die neue Zeit mitzunehmen.
Die CDU profitiert im Gegensatz zur SPD von der großen Koalition –
ganz sicher wegen Merkel und ihres unaufgeregt-pragmatischen Polit-
Stils, der von vielen Menschen nach der symbolpolitisch aufgeladenen
Schröder-Zeit als wohltuend empfunden wird. Mindestens ebenso
wichtig, weil über den Tag hinausweisend, ist jedoch der
durchgreifende Richtungswechsel, den die CDU gerade hinter sich
bringt. Liberale Kritiker haben nicht Unrecht, wenn sie der Union
eine Sozialdemokratisierung vorhalten. Aber die Leute mögen das und
belohnen etwa Horst Seehofer mit hohen Zustimmungs-Werten. Er wäre
übrigens der gefährlichste Mann, den die CSU in Bayern gegen die SPD
ins Rennen schicken könnte.
Sollte sich die SPD damit trösten, dass Umfragen nun einmal
flüchtig sind, wäre das fahrlässig. Besser wäre es, die
(programmatischen) Hausaufgaben endlich couragiert zu erledigen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung