Berliner Morgenpost: Auf dieser Buchmesse haben Worte besonderes Gewicht
Archivmeldung vom 15.10.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWar es richtig, China zum Ehrengast der Buchmesse zu machen? Ein Land, in dem nach wie vor Zensur herrscht und missliebige Autoren gegängelt oder in Haft gehalten werden? Noch kann keiner eine vernünftige Antwort auf diese Frage geben. Denn sie wird von den Ergebnissen der Messe abhängen.
Sollte der Ehrengast-Auftritt dazu beitragen, die Machthaber des Landes zu ein wenig mehr Liberalität und Meinungsfreiheit zu bewegen, war die Einladung ein politischer Erfolg, und man muss den Organisatoren der Messe gratulieren. Doch schon jetzt war durch die Einladung eine Menge zu lernen. Die erste Lehre betrifft das Eigengewicht der Worte. Ein Ehrengast hat ein Anrecht auf Hochachtung. Sein Status ist eine Auszeichnung für Verdienste, die der Ehrengastgeber bewundert. Doch der Vertrag über Chinas Auftritt in Frankfurt wurde nicht mit bewundernswerten Verlegern oder Schriftstellern geschlossen, sondern mit dem Ministerium für Presse und Propaganda, also mit den Zensoren des Landes. Der chinesischen Delegation gehören Vertreter an, die mit Meinungsfreiheit wenig im Sinn haben. Es macht den notwendigen Streit mit ihnen nicht leichter, wenn sie sich auf ihre Rolle als Ehrengäste berufen können. Rund 500 Veranstaltungen werden in Frankfurt dem Ehrengastland und seiner Kultur gewidmet sein. Auf 250 davon, die nicht das offizielle China, sondern ausländische Verlage ausrichten, kommen kritische Stimmen zu Wort, also Autoren, die den Machthabern nicht nach dem Munde reden. Doch das heißt noch lange nicht, dass beide Seiten miteinander ins Gespräch kämen. Der zentrale Ort, an dem sich die Repräsentanten des Regimes ihren Kritikern stellten, ist nicht in Sicht. Doch damit wird das Konzept der Messe fragwürdig, neutrale Plattform für den Meinungsstreit zu sein. Sie kann Vielfalt garantieren, doch der Konfrontation kann ein Ehrengast bequem ausweichen. Und schließlich noch diese Lehre: Ein Politiker muss im Interesse seines Landes auch mit Diktatoren oder autoritären Herrschern verhandeln. Ein Intellektueller jedoch sollte, wenn er glaubwürdig bleiben will, einen Diktator einen Diktator nennen und einen autoritären Herrscher einen solchen. Angela Merkel, Roland Koch und Petra Roth schlugen bei der Eröffnung dem Ehrengast gegenüber einen politisch rundum verantwortlichen, diplomatischen Ton an. Das ist ihre Aufgabe. Buchmesse-Direktor Juergen Boos und Börsenverein-Chef Gottfried Honnefelder taten es ihnen gleich. Ist das ihre Aufgabe? Zu den besten Traditionen der Literatur gehört es, den Einzelnen gegen die Zumutungen der Politik zu verteidigen. In China wird Liu Xiaobo, der Ex-Präsident des unabhängigen chinesischen PEN und Bürgerrechtler, seit Monaten in Haft gehalten. Er hat ein Anrecht darauf, vom Literaturbetrieb nicht vergessen zu werden. Nach seinem Schicksal müssen die chinesischen Machthaber in Frankfurt im Namen der Literatur gefragt werden. Hätte es dafür eine bessere Gelegenheit als die Eröffnungsveranstaltung gegeben? Doch Liu Xiaobos Name fiel nicht.
Quelle: Berliner Morgenpost