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Rheinische Post: Freund, Feind, Ministerpräsident?

Archivmeldung vom 07.10.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.10.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es ist wie immer bei der großen Koalition. Kaum steht nach zähem Ringen ein Kompromiss, wackelt er wieder. Das gilt auch für die von Schwarz-Rot zum Schickalsprojekt hochgeredete Gesundheitsreform.

Das beschlossene Reförmchen ist kaum 24 Stunden alt, da ist es schon eine "Übergangslösung", "nicht verfassungsgemäß", "noch nicht abschließend beraten". Ein Bastard, ungeliebt wie seine Vorgänger "Gleichbehandlungsgesetz" oder Föderalismusreform.
Für dieses Phänomen haben sich die Berliner Koalitionäre eine bequeme Erklärung konstruiert, die eigene Unzulänglichkeiten bei der Planung und Umsetzung ihrer Politik bemäntelt: Die Ministerpräsidenten sind schuld. Vorzugsweise sind dabei die elf Länderchefs der Union gemeint. Jede ihrer Anmerkungen wird als "Länderegoismus" oder taktische Positionierung im Machtkampf um eine mögliche Merkel-Nachfolge interpretiert. Verletzte Eitelkeiten - ob tatsächlich oder angenommen - gehören ebenfalls zum Erklärungsmuster. Selbstredend menschelt es in Kabinettssälen und Parteizentralen: Edmund Stoiber leckt alte Wunden, die ihm auch Angela Merkel geschlagen hat. Regierungschefs zählen eifersüchtig jede Kanzlerinnen-SMS, die auf dem Handy ihres Nachbarn landet. Doch es gehört auch zur Aufgabe der Ministerpräsidenten, die (finanziellen) Interessen ihrer Länder zu wahren und das Wohl ihrer Bürger im Blick zu behalten. Wenn also die Gesundheitsreform erkennbar Murks ist, müssen sie das artikulieren dürfen.
Mehr noch: Wenn die Unions-Ministerpräsidenten sich angesichts des historischen Umfragetiefs um den Zustand ihrer Parteien CDU und CSU sorgen, ist das ihre Verpflichtung. Die Bewahrung der Mehrheitsfähigkeit gehört zum Kern der Parteipolitik. Und so muss es christdemokratische Spitzenpolitiker beunruhigen, dass ihre Partei in den Umfragen auf jetzt 30 Prozent durchgereicht wird, während die Sozialdemokraten erstmals seit vier Jahren wieder stärkste Partei sind. Und die Christsozialen verunsichert zu Recht, dass sie in Bayern bei 49 Prozent liegen. Für die absolute Mehrheiten gewohnte CSU ist das ein Signal beginnender Schwindsucht.
Angesichts dieser Zahlen wie der intellektuellen Dürre bei CDU/CSU ist eine offene Diskussion zwingend. Sie entzündet sich an der Gesundheitsreform, dreht sich in Wahrheit aber um grundlegende Fragen, möglicherweise auch Lebenslügen: Wie sozial muss die Union noch oder wieder sein? Was heißt sozial heutzutage überhaupt? Und wie verkörpert man diese Politik glaubwürdig?
Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten: Nicht jeder Kritiker ist automatisch Querulant, gar Denunziant - auch nicht, wenn er ein hohes politisches Amt ausfüllt. Frau Merkel, die den Grundstein ihrer Kanzlerschaft mit öffentlicher Kritik an Helmut Kohl legte, sollte dafür Verständnis haben.

Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post

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