Leipziger Volkszeitung zur USA-Reise von Außenminister Steinmeier
Archivmeldung vom 29.11.2005
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.11.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDeutschland brauche keinen Neuanfang in den Beziehungen zu den USA. Dieses apodiktische Urteil fällte der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier, bevor er sich zu seinem schwierigen Antrittsbesuch in Washington aufmachte.
Steinmeier irrt. Dem Sozialdemokraten fällt ein Bruch mit der
sprunghaften und auf kurzfristige Taktik statt langfristiger
Strategie gestützten Außenpolitik der Vorgängerregierung schwer. Aber
sowohl Deutschland als auch die USA brauchen einen Neustart in den
transatlantischen Beziehungen. Die Verantwortung, wieder stärker
aufeinander zuzugehen, liegt auf beiden Seiten. Dabei können die
globalen Entwicklungen seit dem Fall der Mauer nicht unberücksichtigt
bleiben: Wirtschaftlich ist Deutschland (und Europa insgesamt) für
die USA unwichtiger geworden, Asien dafür bedeutender.
Sicherheitspolitisch haben die USA nach der Blockkonfrontation für
Deutschland an Gewicht als Freiheitsgarant verloren. Gleichzeitig
aber ist die letzte Supermacht der schlagkräftigste Verbündete im
Kampf gegen den Terrorismus. Der Westen als Wertegemeinschaft
überlagert wirtschaftliche und militärische Interessen. Doch sie muss
gepflegt werden, wenn sie nicht vollends erodieren soll.
Aller Neuanfang ist schwer. Nach wie vor sorgen die amerikanische
Irak-Politik mitsamt den dürren Kriegsgründen sowie die vermuteten
CIA-Flüge mit gefangenen Islamisten inklusive Zwischenstopps in
Deutschland und anderen europäischen Ländern zu recht für Verärgerung
in Berlin. Die US-Regierung bleibt Aufklärung bislang schuldig. Das
kann nicht das letzte Wort unter Verbündeten sein. Aber voreilige
Schuldzuweisungen sind nicht hilfreich, Differenzierung ist
notwendig. Wenn die CIA dingfest gemachte Terrorverdächtige aus guten
Ermittlungsgründen für Verhöre um den Globus fliegt, kann das im
Interesse des gesamten Westens sein. Wenn diese Gefangenen aber
keinerlei Recht auf Verteidigung vor Gericht erhalten, widerspricht
dies genauso wie Folter oder zeitlich unbegrenzte Inhaftierung
rechtsstaatlichen Prinzipien. Das Lager Guantanamo Bay ist kein
Ruhmesblatt für die USA. Geheime CIA-Kerker in europäischen Ländern
wären ebenso eine Schande für solche Regierungen, die dafür ihre
Erlaubnis geben. Die moralische Überlegenheit westlicher Werte speist
sich gerade aus der Gewissheit, dass gefangenen Islamisten Rechte
gewährt werden, die politische Gegner niemals genießen können, die
ihnen in die Hände fallen. Dies muss Steinmeier in Washington
verdeutlichen.
Ob der neue Außenminister für die heikle Mission der Richtige ist,
bleibt abzuwarten. Er ist als ehemaliger Kanzleramtsminister eng mit
der polternden Außenpolitik Gerhard Schröders verbunden, der das
Verhältnis zu den USA durch undiplomatische Marktschreierei und
anti-amerikanische Zwischentöne demolierte. Steinmeiers neue Chefin
Angela Merkel setzt auf Korrektur: Nicht einseitig Paris und Moskau
bevorzugen, dafür bessere Beziehungen zu kleineren europä- ischen
Ländern und den USA pflegen. So sollte die deutsche Außenpolitik neu
ausgerichtet werden - auch von Steinmeier.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung