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WAZ: Hartz IV-Sätze in der Kritik

Archivmeldung vom 06.02.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.02.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

So viele Spielarten die Pädagogik uns an die Hand geben will, der nächsten Generation ein gutes Leben zu ermöglichen, so einig ist sie sich über den Kern kindlichen Glücks: Kinder wollen dazugehören. Dazugehören. Das liest sich so leicht. Im deutschen Elternalltag ist der Weg dahin längst ein Hindernisparcours gediegenen Ausmaßes.

Denn eigentlich ist Dazugehören ein Gefühl. Aber längst wird es bei Kindern und Jugendlichen geformt und geprägt von einem Katalog, dessen Kapitel Konsum, Ästhetik, Trend, Coolness heißen. Können die Eltern etwas dagegen tun, da sie doch wissen sollten, um was es im Leben eigentlich geht? Weil sie besser durchschauen, wie lächerlich der Tanz um die goldenen Kälber von Mode-Labels und PC-Neuheiten ist? Wenn das nur so einfach wäre. Denn mögen Ältere die Zeit heraufbeschwören, als der weihnachtliche Gabentisch noch nicht unter einem Berg aktueller Betäubungs-Requisiten der Elektronik-Industrie ächzte. Mögen Moralisten stöhnen, dass Achtjährige heute zum Modefriseur getragen werden. Mögen 50-Jährige sich an Kindergeburtstage erinnern, da das größte Glück darin bestand, einen eigenen Kuchen gebacken zu bekommen statt einen Gutschein für eine Party in einer Burgerbraterei mit bezahltem Clown: Nostalgie hilft wenig. Seinen Kindern zu helfen, heißt auch: Das Leben in dieser Welt zu akzeptieren. Freilich: Dieses Leben muss man sich leisten können. Es ist teuer, es kostet mindestens 20 Jahre lang - ein kleines Vermögen. Vermögen!, wie muss das in den Ohren einer Mutter klingen, die Hartz IV empfängt? Ihr Kindergeld? Wird angerechnet. Schulbücher? Sind bei Hartz IV nicht ausgewiesen, der Gesamtetat muss reichen. Ist Bildung etwa eine Mode? Ganz zu schweigen von Mitbringseln für den Kindergeburtstag, einer Klassenfahrt, der Mitgliedschaft im Sportverein. Der Gesetzgeber kennt und erkennt dafür bislang keinen Bedarf. Er schnürt ein Paket von Minimalbedürfnissen. Als Erziehungsberechtigter daran zu scheitern, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Im Ruhrgebiet ist mindestens jedes vierte Kind betroffen. Gäbe es nicht Omas, Tanten, Freunde - es sähe wohl noch finsterer aus. Kinder wollen dazugehören. Für Hartz IV-Kinder ist das Gegenteil Gesetzestext. Damit leben sie in einer Gesellschaft, in der die Gleichheit des Menschen mit seiner Geburt endet. Dass der Staat gerade dabei zusieht, ist ein Trauerspiel. Am Dienstag wird sich das Bundesverfassungsgericht zur Rechtmäßigkeit der geltenden Sätze äußern. Ein Signal wäre bitter nötig.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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