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WAZ: Wirtschaft beklagt Rückzieher - Politik im Retro-Look

Archivmeldung vom 25.03.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.03.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Der "Retro-Look" wird von Autobauern, Plattenproduzenten oder Mode-Designern kultiviert - und neuerdings auch von der Politik. Rezepte der Vergangenheit haben Konjunktur, sozialökonomische Theorien der 70er oder 80er Jahre etwa. Welcher Politiker spricht schon gerne von 2010, wenn damit immer gleich eine unpopuläre Agenda verknüpft wird?

Politisch im Trend liegen die sanften Linien, nicht die scharfen Schnitte. Wären die Politiker nicht Politiker, sondern Mode-Designer, sie würden wohl derzeit vor allem flauschige Kamelhaarmäntel produzieren.

Nun hat ausgerechnet Otto Kentzler die "Retro-Politik" von Union und SPD attackiert. Das ist bemerkenswert, da Kentzler als Handwerkspräsident Spitzenrepräsentant einer Branche ist, die gemeinhin als besonders bodenständig gilt. "Die Retro-Politik sollte man den sozialistischen Nostalgikern der Linken überlassen", warnte Kentzler. Ähnlich äußerten sich Arbeitgeberpräsident Hundt und DIHK-Präsident Braun.

Leider hat es sich auch die Wirtschaft oft zu leicht gemacht, als sie Reformen forderte, ohne dafür ebenso glaubwürdige wie verständliche Erklärungen mitzuliefern. Mit dem schlichten und abstrakten Hinweis auf die Globalisierung ist es eben nicht getan. Auch CDU, CSU und SPD sind zu einer Koalition der Getriebenen geworden. Sie lassen sich von Linken-Chef Lafontaine verführen und vorführen: Verführen, da sich die Volksparteien unter dem Druck von links zu einem Überbietungswettbewerb im Geldausgeben hinreißen lassen. Vorführen, da Lafontaine munter ein sozialpolitisches Hase-und-Igel-Spiel betreiben kann. Immer dann, wenn es um Wohltaten geht, kann er sagen: "Das haben wir doch lange schon gefordert."

Verantwortungsvolle Politik ist eben nicht, der Mehrheit immer nach dem Mund zu reden, sondern um Mehrheiten zu kämpfen, zu überzeugen. Es gilt zu erklären, dass nur verteilt werden kann, was zuvor erwirtschaftet wurde; dass der Marsch in den Schuldenstaat fatal ist; dass sich die heutige Generation nicht auf Kosten ihrer Kinder bereichern darf. CSU-Chef Huber, der nun die Wiedereinführung der Pendlerpauschale fordert, liefert nur ein Beispiel für eine Kurzfrist-Politik nach Maßgabe des Wahlkalenders. Auch bei der Rentenerhöhung hat die Große Koalition nicht gerade eine kommunikative Glanzleistung vollbracht. Kaum ein Rentner kann sich wirklich über die Mini-Erhöhung freuen, gleichzeitig wird ein "Kampf der Generationen" angezettelt. Die Politik dieser Tage, sie wirkt seltsam hilflos. Kurzum: irgendwie von gestern.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Ulf Meinke)

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