Neues Deutschland: Libyen - und die Interessen, die hinter dem Einsatz der internationalen Kriegskoalition stehen
Archivmeldung vom 21.03.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNein, es muss nicht damit gerechnet werden, dass britische, französische, US-amerikanische und andere Kampfflugzeuge einen Startbefehl erhalten, um den Aufständischen in Bahrain zu Hilfe zu eilen. Zwar setzt Scheich Chalifa Bin Salman seine Sicherheitskräfte brutal und mit Unterstützung der saudischen Armee gegen die Revolte ein, aber das Regime gehört - wie das in Jordanien, Kuwait und Marokko - zu den »wichtigen Verbündeten« der NATO. Bahrain ist der Hauptstützpunkt der 5. US-Flotte, Einsatzgebiet Naher Osten. Den gilt es nicht mit, sondern gegen die Aufständischen zu sichern.
Man könne nicht zusehen, wie »Männer und Frauen in Libyen Brutalität und Tod durch die Hand ihrer eigenen Regierung« ausgeliefert seien, erklärte US-Präsident Barack Obama für die neue Koalition der Kriegswilligen. Doch sie können: in Bahrain, in Jemen und anderswo. Muammar al-Gaddafi ist ein erbarmungsloser und unberechenbarer Despot, aber er ist nicht der einzige dieser Sorte. Er ist jedoch - mit gewissen Nuancen neben Syriens Herrscher Hafiz al-Assad - der letzte in der arabischen Welt, der seine Menschenrechtsverbrechen weitgehend eigenständig und nicht auf Rechnung westlicher Stabilitätserwartungen begeht. Nur das hat ihn zur Zielscheibe des militärischen Angriffs gemacht.  Libyen kann zum fatalen Wendepunkt der arabischen Revolte werden. Der Westen, der mit Mubarak, Ben Ali und all den anderen Herrschern Jahrzehnte lang zu eigenem Nutzen gut auskam, musste vom um sich greifenden Aufstand eine größere arabische Unabhängigkeit fürchten. Nun hat er im Nationalrat in Bengasi einen Stichwortgeber gefunden (nur gefunden?), der laut nach militärischer Hilfe rief. Vielleicht liegt hier auch ein Grund, weshalb Gaddafis Aufforderung vom 6. März, eine UN-Mission zur Untersuchung des Aufstands zu schicken, unbeantwortet blieb. Die westlichen Führungsmächte hatten sich längst entschieden, ihre in Gefahr geratene lenkende Rolle in der arabischen Welt wieder zu stabilisieren.  Doch Krieg und die Verteidigung von Menschenrechten sind Feuer und Wasser. In Afghanistan mussten die Menschen dies erfahren, als die ersten Bomben Hochzeitsgesellschaften trafen. Die Arabische Liga erklärte nach den Luftangriffen, die sie mit herbeirief, so sei das nicht gemeint gewesen. Hat sie den Eigennutz wie auch die Skrupellosigkeit der Kriegskoalition unterschätzt? Das Feuer des Krieges erwärmt keine Menschenrechte, es verbrennt und verdampft sie. Für Interessen, die nichts mit der arabischen Revolte zu tun haben.
Quelle: Neues Deutschland