Leipziger Volkszeitung zu den Koalitionsverhandlungen
Archivmeldung vom 10.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittBei den Koalitionsverhandlungen in Berlin geht es zu wie auf einem orientalischen Basar. Ein Angebot jagt das nächste, kaum gemacht, wird es schon wieder über Bord geworfen. Hier ein Prozentpunkt mehr, da einer weniger. Keiner weiß, was bei dem ganzen Hin und Her herauskommt. Das stürzt die ohnehin verunsicherte Bevölkerung in immer neue Ängste und gipfelt in der Frage: Was bleibt zum Leben übrig?
Dies kann niemand schlüssig beantworten. Selbst die
Wirtschaftsweisen, die gestern ihre Wachstumsprognose vorstellten,
waren zurückhaltend. 0,8 Prozent Plus beim Bruttoinlandsprodukt
erwarten sie für 2005, ein Prozent für 2006. Eine magere Aussicht.
Und ob sie eintritt, steht in den Sternen.
An diesem Dilemma ändern die halbwegs gesicherten Vorhaben der
künftigen Regierung gar nichts, im Gegenteil. Sie stellen vielmehr
den lang ersehnten Aufschwung zusätzlich in Frage. Einer
Volkswirtschaft, die derzeit im Wesentlichen vom Export lebt, werden
deutliche Konjunkturimpulse versagt bleiben, wenn die Mehrwertsteuer
nach oben geschraubt wird. Die Leute werden ihre Euro noch einmal
mehr umdrehen, statt sie auszugeben. Noch dazu, wenn sie erst ab 67
mit einer Rente rechnen können. Da heißt es, privat vorzusorgen,
statt das Geld zu verjubeln. Beides Gift für ein Anziehen der
Binnennachfrage. Sie aber ist dringend nötig, um die Wirtschaft
wieder nach vorn zu bringen. Zumal die Weltwirtschaft mit ihren
Risiken und möglichen negativen Folgen auf das Ausfuhrgeschäft
deutscher Unternehmen keine allzu sichere Bank ist.
Das Motto "Lieber sparen als prassen" dürften sich auch viele Eltern
auf die Fahne schreiben. Denn sie sollen bei Arbeitslosigkeit ihres
Nachwuchses bis 25 Jahre künftig einspringen, da hier staatliche
Hilfen wegfallen sollen. Wer also nicht skrupellos ist und auf
Härtefallregelungen setzt, wird sich auf den Notfall einstellen
müssen. Und wird bestraft, da die Koalitionäre planen, den
Sparerfreibetrag zu halbieren. Ein weiterer Schritt, mit dem der
Mittelstand und die Kleinen besonders geschröpft werden.
Dagegen wirken die von der künftigen Regierung anvisierte Senkung der
Lohnnebenkosten um ein bis zwei Prozent, die raschere Abschreibung
von Investitionen oder die verlängerte Probezeit wie eine
Besänftigungspille. Das nährt den Eindruck von Flickschusterei ohne
Zukunftsperspektive. Klar ist, an weiteren Reformen führt kein Weg
vorbei - etwa in Richtung steuerfinanzierte Sozialsysteme,
Entkrampfung der Abgabenbelastungen sowie Einsparungen bei den
staatlichen Ausgaben.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung