WAZ: Merkel-Besuch in Indien Deutsche als Bittsteller am Ganges
Archivmeldung vom 31.10.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittZweimal schon besuchte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Volksrepublik China. Erst ihre dritte Asienreise führt sie nun endlich nach Indien, zur bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt.
Angesichts der Prioritäten ihres Reiseprogramms
musste Merkel in der indischen Hauptstadt Delhi erst einmal Abbitte
leisten. Berlin, so verkündete sie, besitze genug Kapazitäten, um das
"Reich der Mitte" und Indien gleichwertig zu behandeln.
Die Inder sind höflich genug, um solche Aussagen nicht öffentlich
zu hinterfragen. Dank ihres Wirtschaftswachstums von rund neun
Prozent jährlich besitzt die Atommacht eine ordentliche Portion
Selbstbewusstsein. Das Land, das schon lange enge ökonomische und
kulturelle Bindungen zu Deutschland unterhält, kann sich kaum vor
internationalem Interesse retten. Die wirtschaftliche Zukunft Indiens
hängt nicht von Deutschland ab.
Die rund 30-köpfige Unternehmerdelegation, die mit der
Bundeskanzlerin unterwegs ist, zeigt, dass die deutsche Wirtschaft
das Potenzial des Subkontinents schätzen lernt. Aber sie kommt als
Bittsteller. Das deutsche Unternehmertum hat unnötigerweise den
Vorsprung vor der Konkurrenz aufgegeben. Ein einigermaßen
rätselhaftes Verhalten: Es gibt zwar berechtigte Klagen über
ausufernde Bürokratie am Ganges und eine Justiz, die Streitigkeiten
im Schneckentempo bearbeitet. Aber während in China die Bilanzen bis
heute durchwachsen ausfallen, haben deutsche Unternehmen in Indien
profitable Geschäfte gemacht.
Merkel findet sich ebenfalls in einer unbequemen Rolle. Sie will
eine Zusammenarbeit mit Leben zu erfüllen, die auf dem Papier seit
Jahren "strategische Partnerschaft" genannt wird, aber kaum
praktische Bedeutung hat. Dabei gibt es eine ganze Serie von Themen,
bei denen sich die Interessen von Berlin und Delhi decken.
Afghanistan steht dabei ganz oben. Indien und Deutschland haben sich
massiv auf Seiten von Präsident Hamid Karsai engagiert. Sowohl Merkel
wie dem indischen Premierminister Manmohan Singh liegen alarmierende
Krisenberichte vom Hindukusch vor.
Delhi ist kein einfacher Partner. Die Inder werden auch beim Lieblingsthema der "Kanzlerin des Klimaschutzes" hartnäckig bleiben. Denn während Angela Merkel weltweit gegen den Raubbau an der Umwelt auftritt, gehört Indien neben den USA und China zu den schlimmsten Dreckschleudern. Die wirtschaftliche Entwicklung, so argumentieren Delhis Vertreter, dürfe nicht zur Geisel des Umweltschutzes werden.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung