WAZ: Militärs setzen im Irak Phosphor ein: Ein Krieg außer Kontrolle
Archivmeldung vom 17.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittPhosphor leuchtet. Er wird wegen seiner „lichttragenden” Eigenschaft in vielen Gefechtssituationen geschätzt. Und Phosphor brennt gut. Deshalb bietet sich die Zweitverwertung als Brandwaffe geradezu an.
Das jedenfalls ist die irgendwie zynische,
aber irgendwie auch plausible Erklärung amerikanischer und britischer
Militärs dafür, dass Phosphor im Irak nicht nur für die nächtliche
Markierung von Zielen, sondern auch als Waffe im direkten Kampf gegen
Menschen zum Einsatz gekommen ist.
Stellt der Phosphor-Einsatz im Irak eine neue Eskalationsstufe
dar, eine neue Qualität der Kriegsführung? Das kann man so sehen,
muss man aber nicht. Denn das Entsetzen über den Phosphor-Einsatz
offenbart auch eine gewisse Naivität gegenüber moderner
Kriegsführung. Es geht ja, wie die Powell-Doktrin eine ganze
Generation amerikanischer Militärs gelehrt hat, gerade nicht um
Waffengleichheit, sondern um Übermacht, um ein brutales,
überwältigendes Moment, das stets damit legitimiert wird, dass es
kriegsverkürzend wirken soll.
So wurde 1999 schon der verheerende Einsatz von Splitterbomben im
Kosovo gerechtfertigt (damals übrigens ohne größere öffentliche
Empörung in Deutschland) und 2001 der Einsatz von Mega-Bomben in
Afghanistan. Der Phosphor-Einsatz reiht sich hier ohne logischen
Bruch ein, auch wenn mit der Nähe zu chemischen Kampfstoffen eine
Grenze mindestens berührt, wenn nicht überschritten wird, die bislang
auch die Amerikaner zu akzeptieren vorgaben.
Doch entscheidend ist wahrscheinlich gar nicht, ob hier gegen
internationales Recht verstoßen wurde. Es geht um die politische
Signalwirkung, die von der Nachricht ausgeht. Denn es offenbart sich
darin ein Element der Maßlosigkeit und Verzweiflung.
Der Phosphor-
Einsatz bestätigt, was sich als Einsicht immer mehr durchsetzt:
Dieser Krieg ist außer Kontrolle geraten, und er ist nicht zu
gewinnen. In der einzelnen Kampfsituation wie auch in der
strategischen Kriegsführung gilt, dass es für die Amerikaner keine
Perspektive mehr gibt.
Ermutigend, wenn überhaupt, ist in dieser Lage nur, dass sich die
Debatte in den USA grundlegend verändert hat und im Kongress
parteiübergreifend die Irak-Strategie Bushs infrage gestellt wird.
Die Durchhalteparolen, mit denen Bush, Cheney und Rumsfeld fast drei
Jahre lang erstaunlichen Erfolg hatten, verfangen nicht mehr.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung