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Hummer-Alarm

Archivmeldung vom 01.10.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.10.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Monatelang mussten sich Politik und Exporteure auf beiden Seiten des Atlantiks gedulden, nun ist die mit Spannung erwartete Zahl durchgesickert: 4 Mrd. Dollar pro Jahr stehen der Europäischen Union an Vergeltungszöllen zu, als Ausgleich für illegale Exportsubventionen der US-Regierung an den Flugzeugbauer Boeing. Brisanter könnte der Zeitpunkt für diese Entscheidung kaum sein. Keine fünf Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl steht die EU vor einer delikaten Entscheidung: Ernst machen und eine weitere Eskalation riskieren?

Die Zölle würden einen neuerlichen Tiefpunkt im transatlantischen Verhältnis markieren und der Weltwirtschaft mitten in der Erholung einen Schlag versetzen. Oder sollte Brüssel abwarten und auf einen Machtwechsel im Weißen Haus hoffen? Das wäre ein Zeichen von Schwäche, das Trump im Fall seiner Wiederwahl in die Karten spielt.

Der neue EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis ist um seine erste Bewährungsprobe nicht zu beneiden. Vorgänger Phil Hogan hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die EU zurückschlagen wird, sobald die Autorisierung von Seiten der WTO da ist. In der Zwischenzeit ist jedoch nicht nur die US-Wahl näher gerückt und mit ihr die Aussicht auf ein Ende des Zollspuks, hat doch der Berater von Trump-Herausforderer Joe Biden der EU mit der Ansage, den "künstlichen Handelskrieg" beenden zu wollen, eindeutige Avancen gemacht. Auch haben Amerikaner und Europäer kürzlich ein Freihandelsabkommen im Miniaturformat geschlossen, das leicht zu übersehen, dafür in seiner politischen Wirkung kaum zu überschätzen ist: Im Wesentlichen erlässt die EU den USA die Zölle auf hierher exportierten Hummer. Ein Zugeständnis an Trumps Klientel in der Hummer-Hochburg Maine, wo der Präsident auf jede Stimme angewiesen ist.

Mit der Zolldrohung im Airbus-Boeing-Konflikt wendet sich das beim Hummer angewendete Kalkül ins Gegenteil: Kohleproduzenten, Farmer und Fischer in den USA müssen Zölle fürchten - ebenfalls republikanische Stammwähler. Solche Wahlkampfeinmischung kann Trump kaum unbeantwortet lassen. Trotzdem sollte die EU nicht den Mut verlieren: Die USA erheben längst Milliardenzölle, weil auch EU-Staaten im Umgang mit Airbus WTO-Recht gebrochen haben. Der seit 2004 schwelende Streit geht nicht auf Trumps Konto, und er wird auch nicht mit dessen Auszug aus dem Weißen Haus enden. Die von der WTO autorisierten Zölle müssen kommen - nur so lässt sich anschließend glaubhaft und auf Augenhöhe verhandeln.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Stefan Reccius.

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