LVZ: Abschied des Parteisoldaten
Archivmeldung vom 14.11.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMit Franz Müntefering geht der sozialdemokratische Regierungslotse von Bord. Und Kanzlerin Angela Merkel wird es noch schwerer haben, den richtungslos umherirrenden Koalitions-Tanker wenigstens aus rauer See herauszuhalten.
Durch den wegen der Krankheit seiner Frau absolut
zu respektierenden Rücktritt Münteferings und die gleichzeitige
Weigerung des SPD-Vorsitzenden Beck, durch die Übernahme eines
Ministeramtes der eigenen Bundesregierung den Rücken zu stärken und
Verantwortung zu übernehmen, erhöht sich das Risiko des politischen
Untergangs für die zerstrittenen Koalitionäre beträchtlich. Beck
weiß, wie schlecht der Zustand der Koalition ist - und hält sich
deswegen dem Kabinett mit abnehmender Halbwertszeit fern. Das ist
politisch ängstlich und taktisch schlau zugleich. Mit dem Vorwurf,
feige zu sein, kann er politisch besser leben als mit der Aussicht,
als in die Kabinettsdisziplin Eingebundener gegenüber der Kanzlerin
stets am kürzeren Hebel zu sitzen. Dafür nimmt Beck sogar in Kauf,
dass mit dem neuen Vize-Kanzler Steinmeier ein präsentabler
innerparteilicher Konkurrent entsteht, der ihm die Kanzlerkandidatur
streitig machen könnte. Becks Kneifen zeigt aber auch, wie wenig
Zuversicht ihn treibt, nach den nächsten Wahlen im Chefsessel des
Kanzleramtes zu landen. Der SPD-Chef wird sich wie gehabt weiter an
der relativen Unmöglichkeit versuchen, den regierenden
Oppositionspolitiker mit Distanz zur Kanzlerin zu geben.
Die Union kann das solange geradezu stoisch hinnehmen, wie sie in
Umfragen deutlich vor der SPD liegt. Aber man fragt sich, mit welchen
gemeinsamen Projekten und Zielen diese Regierung noch punkten will,
um 2008 ohne Totalschaden zu überleben. 2009 steht dann sowieso
Wahlkampf pur auf der Agenda. Neuwahlen wären nach Münteferings
Rückzug und unergiebigen Koalitionsausschüssen das ehrliche Gebot der
Stunde, aber selbst dazu fehlt der Koalition die Kraft.
Wenn Müntefering süffisant bemerkt, nun gehe der Stubenälteste der
SPD, aber auch er wisse nicht, wer in Zukunft Merkels erster
Ansprechpartner sei, beweist, wie ungeklärt und verfahren die
Situation ist. Die SPD ist seit ihrem Hamburger Parteitag eine andere
als noch unter Schröder. Zuletzt verteidigte nur noch Müntefering
Schröders Erbe, während der sich schon meinungsflexibel von sich
selbst distanzierte. So wurde Müntefering nicht nur von
Meinungsverschiedenheiten mit der Kanzlerin, sondern vor allem von
den fruchtlosen Grabenkämpfen in seiner eigenen Partei zermürbt. In
jüngster Zeit kassierte er vornehmlich politische Tiefschläge. Es
rächte sich, dass er noch vor dem Start der großen Koalition
vorschnell den SPD-Vorsitz nach innerparteilichen Hakeleien
hingeschmissen hatte. In der Politik ist Dankbarkeit keine
Handlungsmaxime. Dass ohne Müntefering die rot-grüne Regierung
Schröder kaum sieben Jahre lang durchgehalten hätte, spielte im Hauen
und Stechen des parteipolitischen Alltagsgeschäftes keine Rolle mehr.
Diese Erkenntnis mag ihm als Parteisoldaten den Abschied aus der
großen Politik erleichtern.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung