Das WESTFALEN-BLATT zum Sonderparteitag der Grünen
Archivmeldung vom 27.06.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt»Grüne stimmen gegen Atomausstieg«: Das war die Schlagzeile, die die Partei- und die Fraktionsspitze gefürchtet hatte. Sie galt es zu verhindern, und sie wurde verhindert. Ein Erfolg für Claudia Roth & Co. Doch auch ein Erfolg für die Partei? »Grüne stimmen gegen Atomausstieg - schwarz-gelbe Pläne gehen nicht weit genug«: Das wäre die Schlagzeile gewesen, für die die Ökopartei den Beschluss hätte liefern müssen, um ihrer Politik und ihrem Anspruch an sich selbst treu zu bleiben.
Sie tat es nicht, weil das Kalkül am Ende stärker war als die Konsequenz. Machtpolitik schlägt Sachpolitik. Zu loben ist freilich, dass sich die Partei ihre Entscheidung so schwer gemacht hat. Noch immer ist es ein Wesenszug der Grünen, dass man nicht vorher schon weiß, wie ein Parteitag ausgeht. Anders als früher bringt das der Ökopartei heute keine Ablehnung mehr, sondern es steigert ihre Attraktivität. Auch der Begriff der Basisdemokratie wird von den anderen Parteien weniger belächelt als bewundert und nachgeahmt. Mit dem Berliner Beschluss ist das Alleinstellungsmerkmal der Grünen dahin, nicht jedoch ihr Dilemma beseitigt. Dieses Ausstiegsszenario braucht die Grünen nicht. Sie sind allenfalls dabei, aber nicht mittendrin. Jürgen Trittins Logik, wonach jeder, der für 2017 sei, nicht gegen 2022 stimmen dürfe, weil er damit für 2040 votiere, läuft ins Leere. Trotzdem verleihen die Grünen der schwarz-gelben Energiewende von Kanzlerin Angela Merkel ihr Gütesiegel. Hans-Christian Ströbeles Kritik - »2022 ist gut, aber nicht gut genug« - begegnen sie mit einem gewagten Vorgriff auf die Zukunft. Das Motto: »Wir nehmen jetzt den Spatz in der Hand, und die Taube auf dem Dach holen wir uns 2013, wenn wir auf der Regierungsleiter stehen.« Man darf gespannt sein, welcher Koalitionspartner da mitmachen wird. So paradox es klingen mag: Das Votum der Grünen ist sowohl ein Dokument ihres neuen Selbstbewusstseins als auch der Angst, um den verdienten Lohn ihrer Mühen gebracht zu werden. Letzteres brachte niemand besser auf den Punkt als die Europaabgeordnete Rebecca Harms: »Es ist komisch, wenn die falsche Partei das Richtige tut.« Auch fürchten die Grünen die fortgesetzte Diffamierung als »Dagegen-Partei«. Doch warum bloß? Traut die Partei ihren Wählern wirklich so wenig Differenzierungsfähigkeit zu? Der selbstbewusste Blick auf die Machtperspektive wurde am deutlichsten, als Renate Künast am Rednerpult stand. Endlich in Mecklenburg-Vorpommern in den Landtag einziehen und dann in Berlin die Regierungsverantwortung übernehmen - so zeichnete die Fraktionschefin die Linie vor. Sie tat es aus ganz persönlichen Gründen, schließlich ist sie es selbst, die Klaus Wowereit ablösen will. Doch da war noch mehr: Am Horizont eines Parteitags, der den ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer als Gastredner erlebte, leuchtete es auf einmal schwarz-grün.
Quelle: Westfalen-Blatt (ots)