Leipziger Volkszeitung zum Schneechaos
Archivmeldung vom 06.03.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.03.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas nennt man Bauchklatscher: Im Glauben an allerlei Experten und windige Propheten, die seit Jahren eine Klimaerwärmung und kurze Winter vorhersagen, haben die öffentlichen Arbeitgeber im Tarifkonflikt auf die harte Linie gesetzt.
Sie sind gründlich
ausgerutscht. Statt bella vita im deutschen Dauerfrühling gibt es
Endlosschneefall und sibirisches Bibbern seit November. Da nun auch
noch die Räumfahrzeuge des Winterdienstes im Depot und Streusalzlager
zugesperrt bleiben, werden Schnee und Streik endgültig zum
öffentlichen Ärgernis.
Von Einsicht ist weder bei Wetter-Chef Petrus noch bei
Gewerkschafts-Boss Bsirske etwas zu spüren. Im Gegenteil: Als ob
Petrus Verdi-Mitglied geworden wäre, schickte er am Wochenende noch
mal eine ordentliche Ladung weiße Pracht, bei der viele Betroffene im
Stau oder Schaufeleinsatz inzwischen schwarz sehen.
Natürlich macht ein Streik keinen Sinn, wenn er nicht weh tut. Zwei,
drei geschlossene Ämter im Rathaus sind ärgerlich, erhöhen aber kaum
den Druck auf die geschlossene Front der arbeitgebenden Länder.
Insoweit ist die Kompromisslosigkeit von Verdi nachvollziehbar: Im
Schnee versunkene Straßen oder stinkende Mülltonnen sind eben ein
anderes Kaliber.
Doch wenn Sicherheit und Seuchengefahr auf dem Spiel stehen, ist
Schluss mit lustig. Da kann der polternde Podeststürmer Bsirske noch
so oft auf die prall gefüllte Streikkasse und den Durchhaltewillen im
Kampf gegen die 40-Stunden-Woche verweisen: Bei verbeulten Autos,
schmerzhaften Prellungen oder gar Beinbrüchen dreht die
Streiksympathie der Bundesbürger schnell ins Gegenteil.
Statt des nötigen Tauwetters, das sich mit dem altersgestaffelten
Hamburger Arbeitszeitmodell andeutete, verharren die Tarifpartner im
Dauerfrost. Seinen Beitrag zum erneuten Temperatursturz wollte
offenbar auch Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus leisten.
Pünktlich zum Streikbeginn in seinem Bundesland rief er die
42-Stunden-Woche und einen drastischen Stellenabbau bei Bund, Ländern
und Kommunen aus. Bravo, so bringt man garantiert Bewegung in die
Streikfront.
Aber auch die prompte Schelte von Arbeitsminister Franz Müntefering
ist überflüssig wie der nächste Schneeschauer. Denn als ob es mitten
im Tarifkonflikt keine Debatte um Qualität und Kosten von
Angestellten und Beamten gäbe, sorgt der Arbeitsminister für ein
wahres Jobwunder - allerdings nur in seinem Umfeld. Für sein
"Nebenkanzleramt" soll es 19 neue, gutbezahlte und natürlich
"unverzichtbare" Stellen geben. Manchmal, so scheint es, schüttelt
Frau Holle eben doch mit zwei unterschiedlichen Kissen: In der ganzen
Republik wirbelt es weiße Flocken und nur über dem Berliner
Regierungsviertel fallen Steuergelder vom Himmel. Wie wäre es da mit
ein bisschen Basiskontakt - mit Schippen und Streusalz im
eingeschneiten Gebirge?
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung