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Westdeutsche Zeitung: Bundespräsident

Archivmeldung vom 01.07.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.07.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Auch Gustav Heinemann und Roman Herzog brauchten drei Wahlgänge. Und gaben respektable Präsidenten ab. Insofern könnte das, was gestern in der Bundesversammlung geschah, ein normaler demokratischer Vorgang sein. Ist es aber nicht. Denn durch das unpassende Spektakel im Vorfeld und den daraus resultierenden drei Wahlgängen ist das höchste Amt im Staat beschädigt und Christian Wulffs künftiges Wirken belastet.

1. Der Trend, dass die Kandidaten Wahlkampf führen, hat sich diesmal noch verstärkt. Ein solches Schaulaufen ist des Amtes unwürdig.

2. Von den Delegierten wurde - obwohl nicht erlaubt - Parteidisziplin verlangt. Dass sich viele nicht daran hielten, spricht für sich.

3. Generell war die Wahl zu sehr von Parteitaktik geprägt. Es schien mehr um den Fortbestand der Koalition als um das höchste Staatsamt zu gehen. Erhebliche Schuld an dieser fatalen Entwicklung trägt Angela Merkel, die vorschnell Wulff zum bürgerlichen Kandidaten machte.

4. Auch Wulff beging einen Fehler, als er nicht bereit war, rechtzeitig als Ministerpräsident Niedersachsens zurückzutreten. Sein hasenfüßiges Signal wirkt fatal: Ich bin selbst nicht von meinem Sieg überzeugt.

Was bedeutet der gestrige Tag für die Bundesregierung? Angela Merkel wird wohl versuchen, zur Normalität zurückzufinden und sich nicht der Aufarbeitung des Geschehenen stellen. Doch die Vermutung, dass vor allem FDP-Abgeordnete Wulff und damit der Kanzlerin die Gefolgschaft in zwei Wahlgängen demonstrativ verweigerten, kann man nicht nur als Sympathieerklärung für Gauck abtun. Das ist eine Ohrfeige für Merkel. Ihre Strategie, potenzielle Rivalen innerhalb der Union wie Merz, Koch, in gewissem Sinne auch Guttenberg und jetzt Wulff mit ganz unterschiedlichen Mitteln auszuschalten, rächt sich. Erstmals hat sie damit nicht nur der Partei geschadet, sondern deutlich sich selbst. Das Amt hat Schrammen. Christian Wulff ist schon zum Start sehr geschwächt. Er wird es sehr schwer haben, als Präsident die nötige Autorität zu gewinnen. Denn die gründet sich ausschließlich auf die Persönlichkeit des laut Grundgesetz machtlosen Inhabers. Dennoch: Wulff besitzt genug Potenzial, um ein guter Präsident zu werden. 

Quelle: Westdeutsche Zeitung

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