Zahnschmerzen
Archivmeldung vom 10.06.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNein. Der Bischof, der in München die WM-Eröffnung zelebrierte, hat kein Wort über Michael Ballack verloren. Dabei hätte es angesichts der allgemeinen Aufgeregtheit nicht verwundert, wenn die hohe Geistlichkeit neben der Friedensbotschaft auch noch die Wade der Nation ins Gebet genommen hätte.
Immerhin verdrängt eine Causa
über ein Alltags-Wehwehchen selbst Meldungen über das Attentat am
Bin-Laden-Stellvertreter aus der Poleposition der Nachrichten.
Ein Land verläuft sich in der Faser-Phase, als würden Wohl und Wehe
einer Nation vor dem Kräftemessen mit den Küstenkickern aus Costa
Rica tatsächlich von einem einzigen Spieler abhängen. Diese Hysterie
zeichnet ein jämmerliches Bild von der sportlichen Talfahrt des
Gastgeberlandes.
Wo ist der deutsche Trainer von Welt, der auf einer Augenhöhe mit
Hiddink oder Mourinho die Konkurrenz auf Europas größten Bühnen das
Fürchten lehrt?
Wo ist der Spieler von Format, der sich einreihen kann in die Riege
der Rauls, Rooneys oder Ronaldos?
Wo sind, abgesehen von den unbedarften Spaßmachern Schweinsteiger und
Podolski, die Talente, die das Team in vier Jahren wieder in die Nähe
eines WM-Endspiels bringen könnten?
Und wie kommt es, dass der deutsche Schiedsrichter Markus Merk als
Zahnarzt a. D. rund um den Globus bekannter ist als die Bremer
Führungsspieler Torsten Frings oder Tim Borowski?
Chefkritiker Franz Beckenbauer hat mit Kahn und Ballack zwei
Weltklassespieler ausgemacht. Der eine sitzt auf der Bank, der andere
vorerst auf der Tribüne. Doch wer dem Fußball derart schmerzhaft auf
den Zahn fühlt, wird von den deutschen Muskelfaserschmeichlern
Klinsmann und Bierhoff flugs ins patriotische Eck gestellt. Die
Kritiker mögen artig mitmachen beim munteren Musizieren auf der
Euphorie-Trommel, empfahl der Teammanager den Experten.
Das Cordoba-Syndrom gibt es also auch im Nachbarland. Die
Weltmeister von einst sind auch heute noch die Gefragtesten. Wenn
nicht bald an der Wurzel des Übels, nämlich im Nachwuchs, gearbeitet
wird, werden die üblichen Verdächtigen um Beckenbauer oder Breitner
auch im nächsten Jahrzehnt den Ton angeben.
Quelle: Pressemitteilung Kurier