Wer von Corona profitiert
Archivmeldung vom 09.05.2020
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 09.05.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch André OttWarren Buffett hat jüngst die Reißleine gezogen und sich bei seinem Investmentvehikel Berkshire Hathaway von den Anteilen an allen vier großen US-Airlines getrennt. Das Engagement sei ein "Fehler" gewesen, räumt der legendäre Investor ein. Aber natürlich hatte auch ein erfahrener Altmeister wie Buffett das Virus nebst Pandemie nicht auf der Rechnung. Und Corona verändert an den Aktienmärkten einiges, wenn nicht fast alles.
Die Karten werden jetzt völlig neu gemischt. So fragt Buffett zum Beispiel, ob man künftig noch viele Flugzeuge benötigt. Mit der Beantwortung dieser Frage fällt natürlich der Wert von Flugzeugbauern wie Boeing oder Airbus.
Durch die Folgen von Corona haben etliche Aktiengesellschaften wie zum Beispiel Lufthansa, Boeing, Airbus und u. a. auch etliche Autobauer und Zulieferer massiv an Wert verloren. Viele Firmen kämpfen inzwischen schlichtweg ums Überleben, was ohne staatliche Hilfe häufig nicht gelingen dürfte. Folglich müssen Anleger vor Erwerb eines einzelnen Titels sehr genau hinsehen, inwieweit das Geschäftsmodell durch Corona getroffen wird und wie viel Speck das jeweilige Unternehmen auf den Rippen hat. Insbesondere Firmen, die schon vor Corona Probleme hatten, droht wie zuletzt Vapiano die Insolvenz.
Aber es gibt am Aktienmarkt auch etliche Unternehmen, die von Corona profitieren. Am deutschen Aktienmarkt hat sich der Kurs des Kochboxherstellers Hellofresh im laufenden Jahr verdoppelt, während auch Drägerwerk (die Beatmungsgeräte herstellt) und Teamviewer (das Softwareunternehmen ist auf Homeoffice, Fernzugriff und Fernwartung spezialisiert) massiv zugelegt haben. Mit einem Plus von rund 80% wartet auch die Shop Apotheke auf, bei der Kunden online Medikamente einkaufen können.
An den internationalen Märkten haben vor allem die großen Technologiekonzerne zulegen können. Allen voran Amazon, die jüngst ein neues Hoch erreicht haben. Darüber hinaus sind Gesundheitsaktien, sogenannte Healthcare-Titel, in den vergangenen Monaten gefragt gewesen, so dass der Sektor sich deutlich besser als der Gesamtmarkt entwickelt hat.
Die Kursentwicklung der vergangenen Wochen ist allerdings nur ein Blick in den Rückspiegel. Die Frage für Anleger lautet jetzt: Welche Unternehmen dürften auch auf längere Sicht von den Auswirkungen der Pandemie profitieren, und bei welchen Aktien bestehen Risiken? Dabei kristallisieren sich drei Punkte heraus. Erstens: Qualität zählt. Es dürfte gefährlich sein, in die Biggest Loser zu investieren. "Für einige Unternehmen, zum Beispiel aus dem Tourismus- und Luftfahrtbereich, kommen die Liquiditätsspritzen möglicherweise zu spät", merkt Frank Fischer, CIO von Shareholder Value, an. Anleger sollten seiner Ansicht nach daher vor allem auf die Qualität des jeweiligen Geschäftsmodells schauen. Die Analysten von Goldman Sachs stellen heraus, dass in erster Linie Unternehmen mit starken Bilanzen profitieren werden. Auch für Fondsmanager Bert Flossbach sind bei der Unternehmensauswahl ein stabiles Geschäftsmodell und eine solide Bilanz entscheidend.
Zweitens hat der durch Corona bedingte Lockdown in der ganzen Welt zu einem wahren Schub für Digitalisierung, Homeoffice und Online-Handel geführt. Davon werden Tech-Unternehmen auch noch profitieren, wenn das Virus besiegt ist. Die Analysten von Goldman Sachs und die anderer Häuser stufen daher den Technologiesektor als den langfristigen Gewinner der Krise ein. Frank Engels, Leiter des Portfolio-Managements bei Union Investment, erklärt: "Online-Handel, Digitaltechnik, Software, Gesundheit gehören mittelfristig in jedes Portfolio."
Womit wir beim dritten Punkt sind: Die Pandemie dürfte nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig zu einer Aufwertung des Healthcare-Sektors führen. Nach Meinung von Michael Nicol, Fondsmanager bei Kames Capital, dürften Ausgabenkürzungen im Gesundheitssystem "wieder rückgängig gemacht werden", weil die Wähler ein belastbares Sicherheitsnetz im Gesundheitswesen nicht zuletzt für sich selbst forderten. Darüber hinaus kommt dem Gesundheitssektor laut Alex Gold von Fidelity auch die zunehmende Alterung der Weltbevölkerung zugute.
Exportorientierte Branchen wie Autos werden indes auch langfristig nicht von Corona profitieren, dürfte die Globalisierung doch eher zurückgehen. Goldman Sachs favorisiert in Europa stattdessen Titel wie u.a. Roche, ASML, Nestlé, Novo Nordisk oder SAP.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Werner Rüppel