WAZ: Zum Weltfrauentag Heidis Freakshow und der Feminismus
Archivmeldung vom 06.03.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs wird wieder der übliche TV-Quotenhit werden: Junge Frauen lassen sich von Heidi Klum in den inszenierten Zickenkrieg hetzen - beseelt von der Hoffnung, künftig als wandelnder Kleiderständer die Laufstege der Welt zu schmücken. Dass sich für dieses zweifelhafte Ziel wieder Tausende für "Germany's next Topmodel" beworben haben, sagt einiges über den Stand der Emanzipationsbewegung aus.
Die Bestandsaufnahme zum Weltfrauentag fällt von daher zwiespältig aus. Heidis Freakshow ist die eine Parallelwelt. In der anderen regiert eine CDU-Kanzlerin, die in Sachen Gleichberechtigung ähnliche Positionen vertritt wie die einstigen Radikal-Emanze, Alice Schwarzer. Die Universitäten sind längst eine mehrheitlich weibliche Veranstaltung, sogar die Chefsessel von Großkonzernen sind keine Männerbastion mehr. Alles gut also - die politischen Forderungen nach Gleichberechtigung scheinen erfüllt zu sein. Der radikale Emanzipationsansatz der 70er-Jahre, der davon ausging, dass alle Frauen durch die herrschenden Gesellschaftsstrukturen unterdrückt werden, der hat also ausgedient, und die Debatte hat sich verlagert: Heute geht es um den täglichen Praxistest der Gleichberechtigung. Dazu gehören die Rahmenbedingungen, die Frauen ermöglichen, ihr Recht auf einen individuellen Lebensentwurf umzusetzen. Und da sind Elternzeit, Krippenplätze oder Betriebskindergärten sehr viel wichtiger als eine politische Frauenbeauftragte. Da sind Personalchefs gefragt, die tatsächlich nach Qualifikation bewerten, da ist der Lebenspartner gefragt, der Wäsche bügelt und sich um die Kinder kümmert - und da sind vor allen Dingen die Frauen selbst gefragt. Das gesellschaftliche Umfeld hat sich zu Gunsten der Frau verändert: Rollenklischees à la KinderKircheKüche haben ausgedient - die Frauen von heute haben die Wahl, wie sie ihr Leben gestalten. Sie haben sogar die Wahl, sich selbst für dumm zu verkaufen. Und da sind wir wieder bei Heidi Klum und dem Großtrend, mit Oberweite und Schmollmund Karriere machen zu wollen. All die Veronas, Sonyas, Lillys, Gülcans, verkünden vordergründig: Wir bekennen uns zu unserer weiblichen Seite und zu unserem Körper - und das als bewusste Abkehr von den eher spröden Protagonistinnen der politischen Emanzipation. Tatsächlich repräsentieren sie das archaische Vermarktungsmodell namens Sex sells - an dem viele Kerle und Heidi Klum verdienen. Die mag eine gute Verkäuferin in eigener Sache sein. Als Vorbild taugen aber weder die Zynikerin noch ihre Zicken. Die Parole moderner Frauen muss heute heißen: Ihr könnt alles schaffen - aber Ihr müsst Euch trauen und dafür kämpfen! Und dazu braucht es in erster Linie Bildung und Intelligenz und nicht Körbchengröße 100 DD.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung