Leipziger Volkszeitung zu CDU-Parteitag
Archivmeldung vom 28.11.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHarmoniesehnsucht statt Selbstzerfleischung: Machterhalt ist ein starker parteipolitischer Antrieb. So stärken die Delegierten des Dresdener CDU-Parteitages trotz des heftigen Richtungsstreits der vergangenen Wochen und ungeplanter Wortgeplänkel zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitikern sowohl Kanzlerin Angela Merkel als auch ihrem Generalsekretär Pofalla mit guten Wahlergebnissen den Rücken.
Merkel, so das Signal von Dresden, sitzt
trotz zermürbender Entscheidungsprozesse in der Großen Koalition mit
der SPD, trotz magerer Regierungsbilanz und schlechter Umfragewerte
fester im Parteisattel, als so mancher vermutet hätte. Dies belegen
auch die Wahl-Denkzettel für ihre Stellvertreter, die stets mit den
Hufen scharrenden Ministerpräsidenten Koch, Wulff und Rüttgers. Sie
blockieren sich gegenseitig - und auf öffentlichen Zank reagiert die
Basis allergisch. Ein heimlicher Parteivorsitzender ist in Dresden
nicht geboren worden - und auch kein natürlicher
Ersatz-Kanzlerkandidat.
Dies ist umso bemerkenswerter, als Merkel mit ihrer soliden
Parteitagsrede keine unkontrollierten Begeisterungsstürme auslösen
konnte. Balsam für die Seele der Partei, die die Bundestagswahl um
ein Haar verloren hätte, war Merkels Appell für innerparteiliche
Geschlossenheit nicht. Die Gründe für das Wahldebakel bleiben weiter
undiskutiert. Stattdessen macht sich Merkel daran, das
Koordinatensystem der CDU sichtbar zu verschieben. Trotz
gegenteiliger Beteuerungen: Reformeifer und marktwirtschaftliche
Aufbruchstimmung, die 2003 den legendären CDU-Parteitag von Leipzig
kennzeichneten, werden spürbar gedämpft, weil sie selbst bei vielen
Unionsanhängern zu Verunsicherung führen. Leipzig war das Gaspedal
für marktwirtschaftliche Reformen, Dresden ist der Bremsklotz. Merkel
vermeidet alles, was als neoliberal diffamiert werden könnte. Statt
Steuervereinfachung und -senkung stehen jetzt weltweiter
Umweltschutz, Investivlohn, neue soziale Marktwirtschaft und eine
gerechtere Ordnung der globalisierten Welt ganz oben auf der
Tagesordnung. Merkel sozial. Merkel global. Und weil das sehr nach
Weltökonomin à la Lafontaine aussehen könnte, fügt sie eine für einen
CDU-Parteitag kuriose Klarstellung an: Gerechtere Regeln der
Weltwirtschaft dürften natürlich nicht in sozialistischen Modellen
enden. Gleichzeitig soll die CDU aber auch noch die Partei der Arbeit
für alle bleiben, eine für Arbeiter und Arbeitgeber. Und eine, die
durch koordiniertes Flügelschlagen Auftrieb erhält. Außer der
sozialen Ausrichtung bleibt aber vieles bei Merkel in Dresden ohne
deutliche Konturen, ein Gemischtwarenladen politischer Angebote.
Merkel für alle.
Mit dieser Neuausrichtung, die parteiamtlich keine sein soll, will
sie der Union bei Bundestagswahlen vierzig Prozent plus X bescheren,
um sie wieder zur großen Volkspartei der Mitte zu machen. Tatsächlich
steht die Vorsitzende wegen des Streits zwischen dem selbst ernannten
Arbeiterführer Rüttgers und dem Marktwirtschaftler Oettinger
plötzlich im Zentrum der CDU - stärker wohlfahrtsstaatlich orientiert
als noch vor einem Jahr. Ob die Strategie aufgeht, bleibt die große
unbeantwortete Frage des Parteitages. Trotz der Dresdener
Streicheleinheiten für Merkel ist der Richtungskampf in der Union
noch längst nicht ausgestanden.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung