WAZ: Debatte über Familienpolitik
Archivmeldung vom 30.04.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEchte Freunde werden Finanzminister Peer Steinbrück und Familienministerin Ursula von der Leyen wohl nicht mehr. Das hat weniger mit der unterschiedlichen Parteizugehörigkeit, sondern mit der forschen Art der Christdemokratin zu tun.
Mit den beiden Ressortchefs funktioniert es wie beim Hase-und-Igel-Spiel: Haushalts-Sanierungs-Minister Steinbrück hat alle Mühe, das Geld für den neuesten familienpolitischen Vorschlag seiner Kabinettskollegin zusammenzukratzen, da steht Ursula von der Leyen bereits wieder am Start und ruft: Bin schon da, ich hab' 'ne neue Idee. Das ist einerseits zu begrüßen, weil es ein Indiz dafür ist, dass die Familienpolitik mit all ihren Facetten endlich im Zentrum der Politik steht. Andererseits birgt dieser Hurra-Stil die Gefahr, dass jede familienfreundliche Anregung praktisch unter gesellschaftspolitischem Artenschutz steht. Leichtes Spiel also für die Ministerin, die den Finanzchef vor sich hertreibt und in die Defensive drängt - diesmal mit ihren Vorstellungen über ein gestaffeltes Kindergeld.
Je nach Staffelung kostet dieser Vorschlag zwischen 1,7 und 2,2
Milliarden Euro pro Jahr. Die Bundesregierung hat dieses Geld nicht.
Neue Schulden verbieten sich, weil eben jene Kinder, die man heute
damit fördert, morgen zur Rückzahlung verpflichtet wären. In diesen
Fällen weicht die Politik gerne aus und propagiert Umschichtungen.
Auf Deutsch: Kürzungen an anderer Stelle.
Der Vorschlag überzeugt aber auch inhaltlich nicht wirklich.
Erfahrungsgemäß ist das erste Kind das teuerste: Das spricht dafür,
das Kindergeld, wenn überhaupt, vom ersten Kind an zu erhöhen. Nur
mit einem Zuschuss von über 200 Euro je Kind könnte zudem die Lücke
zwischen dem Kindergeldbetrag und der höchsten steuerlichen
Entlastung durch Kinderfreibeträge geschlossen werden. Denn es sind
nur die Eltern mit höheren Einkommen - 63 000 Euro und mehr pro Jahr
-, die von den Freibeträgen profitieren. Zudem hätte von der Leyens
Idee, ab dem dritten Kind kräftig draufzusatteln, zur Folge, dass
eine einfache Arbeiterfamilie mit zwei Kindern, relativ betrachtet,
schlechter gestellt würde als eine ohnehin wohlhabende Familie mit
drei Kindern. Ist das gerecht?
Es gäbe andere Möglichkeiten, die Armut von und an Kindern zu
bekämpfen. Die Väter-Monate aufwerten, die Arbeitschancen von Frauen
gezielt fördern, mehr Betreuungsplätze schaffen. Kurzum: die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf konsequent verbessern. Das kostet
Geld. Im Gegenzug also ran ans Ehegattensplitting, einem Relikt aus
einer anderen Zeit.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Norbert Robers)