WAZ: Die SPD und die Linkspartei
Archivmeldung vom 14.08.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 14.08.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNach einer ordentlichen Schlägerei im Wirtshaus wissen die Beteiligten gewöhnlich nicht mehr genau, wer eigentlich angefangen hat. Sie wissen nur, dass praktisch jeder jeden verdroschen hat mit dem einzigen Ziel, Beulen sowie Scherben zu erzeugen.
Kurt Beck hatte, zur Erinnerung, vor den Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg ein Verbot für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei im Westen verhängt. Franz Müntefering widersprach, aber Beck blieb dabei, angefeuert von der Union.
Dann erlitt Andrea Ypsilanti eine anhaltende Umnachtung und brach ihr Wort, und Beck brach seins, weil es ihm ohnehin nicht zustand, den Landesverbänden Vorschriften zu erteilen. Seitdem geht es bei der SPD zu wie in einer billigen Spelunke. Im großen Handgemenge kann man schemenhaft erkennen, wie der niedersächsische Landeschef auf den Fraktionschef einhaut und ein saarländischer Schattenminister auf den Spitzenkandidaten. Hauptsächlich aber sieht man ein wildes Durcheinander, und nur eines ist klar: Die Verletzungen werden gravierend sein, gleichgültig ob Ypsilanti scheitert oder mit Hilfe der Linken zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Ein Scheitern würde Ypsilanti politisch nicht überleben, was man kaum bedauern müsste, und Beck wäre ernsthaft gefährdet. Denn der Vorsitzende hat nicht nur nichts verhindert, sondern mit seinem rein taktisch motivierten Verbot die Grundlage für Wortbrüche und Glaubwürdigkeitsverlust sogar selbst geschaffen. Würde Ypsilanti gewählt, dürfte die Situation noch komplizierter geraten. Man kann sich einen Parteirechten wie Frank-Walter Steinmeier schwerlich als Kanzlerkandidaten einer zerschlagenen Partei vorstellen, von der Folgendes übrig wäre: ein versehrter Vorsitzender, eine Ministerpräsidentin als lebendes Denkmal für Unglaubwürdigkeit im Umgang mit den Linken und ein entfesselter linker Flügel.
Im Grunde müsste die SPD einen radikalen Neuanfang versuchen, aber wie, wenn jeder macht, was er will? Möglicherweise offenbart der Streit der SPD mit der Linkspartei und sich selbst keine vorübergehende Identitätskrise. Möglicherweise geht es gar nicht mehr um eine Auseinandersetzung zwischen Reformen und sozialer Gerechtigkeit, sondern um die Frage: Ergibt sich die SPD in einem quälenden Prozess der Individualisierung der Gesellschaft, und der brutale Egoismus der Ypsilantis ist nur ein Symptom? Allmählich muss man sich ernsthaft Sorgen machen um die SPD. Die einst stolze Volkspartei liegt am Boden. Dass die Union glaubt, noch zutreten zu müssen, spricht für sich.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Angela Gareis)