LVZ: zu Berlinale
Archivmeldung vom 19.02.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMänner machen Festivals. Frauen wird das offenbar nicht zugetraut. In Berlin und anderswo. Auf Moritz de Hadeln, der bei deutschem Kino stets auf Dauerignoranz schaltete, folgte in Berlin 2002 Dieter Kosslick. Der legte den Hebel um: Willkommen, deutsches Kino! Was nobel ist. Was aber nicht das Generalproblem beseitigt.
Der deutsche
Kinofilm, der findet im Fernsehen statt. Was zuerst an den
Geschichten liegt. Kein Wunder also, dass auf der Berlinale der
Fernsehfilm den Kinofilm vertritt. Das ist nichts Ehrenrühriges. Das
ist eben einfach so. Deutsche Kino-Schauspieler sind ja auch weitaus
unbekannter als Serienstars. Es sagt ihnen bloß keiner. Deutsches
Dilemma.
Wenn nun aber jenes Festival, das nach außen den deutschen Film
vorzeigen müsste, in einem Jahr bei der Auswahl den Total-Blackout
probierte, "Sommer vorm Balkon" und "Das Leben der Anderen"
ignorierte, weil es Schlechteres gefunden hatte, und imJahr darauf
hilflos ein missratenes und ein durchschnittliches Werk in den
Wettbewerb holt, dann sollten die Alarmglocken zu schrillen beginnen.
Nett, dass die Jury sich beim Veranstalter mit dem Darstellerpreis
für Nina Hoss bedankte. Die ist als "Yella" wunderbar, lässt aber
auch daran denken, dass der couragierteste Film der zweiten
Jahreshälfte "Wut" hieß. Eine TV-Produktion, die sich traute, ihre
Geschichte um einen kriminellen Türken und eine Bürgerfamilie
konsequent zu Ende zu erzählen. Ein Streifen, der wirklich weh tat
und nicht nur so tat.
Aber offenbar gibt es keinen, der die Berlinale auf eine solche
Produktion aufmerksam macht. Da liegt sicher ein Defizit. Ob ein
Film, der wirklich auffällt, dann tatsächlich genommen wird, ist eine
zweite Frage. Schließlich gibt es eine rührige Regisseurs-Lobby, die
abblockt und durchwinkt. So sieht die Auswahl dann auch aus.
Garantiert ist da nur eines: die Durchhänger. Auch solche, die nicht
sein müssen. Einfallsreiches Kino bleibt die Ausnahme. Da spiegelt
die Berlinale allerdings auch den Kinoalltag wider, also die
internationale Produktion. Die scheint sich in einer künstlerischen
Übergangsphase wie in den 50er Jahren zu befinden. Es gibt kaum
Stilisten, also Leute, die eine unverwechselbare Handschrift, wie
früher Bergman, Fellini, Visconti, Truffaut, Godard, Kurosawa,
pflegen.
Das machte auch diese Berlinale wieder deutlich. Es gab Hoffnungen zu
sehen, das ja, aber keine Überflieger. Der Trend der Darsteller zur
Regie, der in diesem Jahrgang fast ein Dutzend Mal festzustellen war,
verweist wohl auch darauf, dass viele von ihnen unzufrieden mit dem
sind, was sie spielen. Ein Orson Welles war nicht darunter, aber
immerhin eine Sarah Polley. Den Namen muss man sich jetzt wohl
merken.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung