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Rheinische Post: Koch macht Fehler, und Merkel nutzt sie

Archivmeldung vom 15.01.2008

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.01.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Hessens Ministerpräsident Roland Koch ist im Wahlkampf Opfer der Mechanismen geworden, die er sonst so virtuos beherrscht: Sein Vorschlag, straffällig gewordene Kinder unter 14 Jahren in schweren Ausnahmefällen nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen, fiel im CDU-Präsidium glatt durch und wurde öffentlich von allen Seiten zerpflückt.

Eine, ach was, ein Satz Ohrfeigen für Koch. Der Haudegen aus Wiesbaden hat als Wahlkämpfer überzogen, obwohl er in der Sache von Praktikern aus Polizei und Justiz, die sich seit Jahren mit "Klau-Kids" und Kinderbanden herumschlagen, auch Zustimmung erfahren hat. Ausgerechnet Koch hatte jedoch erwartet, dass seine differenzierten Ausführungen auch differenziert diskutiert würden  und das gut zwei Wochen vor dem hessischen Wahltermin. Für Roland Koch wirkt das ungewöhnlich naiv. Es könnte Ausdruck der Nervosität des Ministerpräsidenten und seiner Berater sein, da die Umfragen ihnen ein knappes Rennen verheißen. Oder aber es ist ein Signal für verfrühten Übermut im Koch-Lager, nachdem es gelungen war, mit dem Thema der Jugendkriminalität, besonders unter jungen Ausländern, aus der Wahlkampfdefensive zu kommen. Es ist aber auch bemerkenswert, wie die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel die Demontage ihres Stellvertreters nicht nur zuließ, sondern gar beförderte. Die unverschleierte Rüge des CDU-Präsidiums für Kochs Vorstoß schwächt den hessischen Ministerpräsidenten im Wahlkampf enorm und dient seinen Gegnern als Beleg für Kochs Regierungsunfähigkeit. Die Kanzlerin lässt sich so zur schärfsten Waffe der bislang Kochs Wahlkampfstrategie relativ hilflos gegenüberstehenden SPD machen. Das scheint Merkel, die selbst kein Mittel gegen die SPD-Mindestlohn-Kampagne fand, wenig zu stören. Sie folgt eigenen Interessen. Wie immer? Brüskierte sie doch auch Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger nach dessen unseliger Filbinger-Gedenkrede, indem sie ihren telefonischen Rüffel für den Stuttgarter öffentlich machte. Friedrich Merz, Edmund Stoiber oder Jürgen Rüttgers könnten ähnliches berichten, wenn sie sich denn trauten. Merkel ist immer zuerst Einzelkämpferin. Im aktuellen Fall geht es ihr um die Stabilität der Koalition  ihrer Koalition. Sie sah sie mehr durch den Unruheherd Koch als durch die wüsten Attacken der SPD auf ihren Parteifreund gefährdet. Mit ihrem Abrücken von Koch verhinderte Merkel ein nach den turbulenten Tagen der vergangenen Woche plötzlich doch möglich scheinendes Auseinanderbrechen ihres schon "die grobe Koalition" getauften Bündnisses. Dafür ist Merkel sogar der Preis nicht zu hoch, dass Koch durch den erlittenen Gesichtsverlust möglicherweise wichtige Prozentpunkte in der Wählergunst einbüßen, die CDU am Ende gar Hessen verlieren könnte. Sie vertraut allerdings auch, flüstern die Eingeweihten in Berlin, auf interne Umfragen, die Kochs CDU gemeinsam mit der FDP immer noch eine sichere Mehrheit prognostizieren  "Kinderknäste" hin, "Kinderknäste" her. Nun ist die Demoskopie eine wacklige Plattform für Optimismus, doch Merkel ficht das nicht an. Sie sieht für sich wohl auch keine andere Wahl. Denn Merkel ist bei weitem nicht eine so starke Kanzlerin, wie es die Legenden-Schmieden im Kanzleramt oder in der Partei suggerieren. Weite Teile der Funktionärsebene der CDU wie die CSU als Ganzes ordnen sich ihr immer noch nur widerwillig unter. Merkels große Stärke ist weiterhin die Uneinigkeit der sich eifersüchtig belauernden Unions-Ministerpräsidenten  gerade war wieder gut zu beobachten, wie der Niedersachse Wulff die aktuelle Schwäche des Hessen Koch zur Profilierung als liberaler Wortführer der Partei nutzte. Die CDU-Vorsitzende teilt  und herrscht. In ihrer Schwäche, die sie mit dieser Methode geschickt kaschiert, ist Merkel im übrigen ihrem SPD-Gegenpart Kurt Beck nicht unähnlich, der ebenfalls kein Interesse am Koalitionsbruch signalisierte. Beck wurde wie Merkel in einer Krisensituation eher zufällig Parteivorsitzender und wird von der eigenen Führungsspitze kritisch beäugt, obwohl niemand aufmuckt. Auch das hätte sich bei einem Platzen der Koalition rasch geändert. Der gestrige Tag noch mal in der Zusammenfassung: Koch ist angeschlagen, aber er humpelt weiter. Für die große Koalition gilt das Gleiche.

Quelle: Rheinische Post (von Sven Gösmann)

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