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Börsen-Zeitung: Draghi in der Zwickmühle, Kommentar zur Geldpolitik der EZB

Archivmeldung vom 29.06.2017

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 29.06.2017 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

Das Signal von EZB-Präsident Mario Draghi war unmissverständlich: Sein Hinweis am Dienstag auf die anhaltend gute Konjunktur im Euroraum und die nur "temporär" schwache Inflation konnte einzig als Start für einen Rückzug der Europäischen Zentralbank (EZB) aus ihrer unkonventionellen Geldpolitik verstanden werden. Die Märkte reagierten entsprechend heftig, hatte sich diesbezüglich doch schon großer Erwartungsdruck aufgebaut.

Auch wenn die Notenbank am Mittwoch mit aller Kraft versuchte, Draghis Rede zu relativieren: Seine neue Sichtweise auf die Inflationsentwicklung ist verstörend. Denn selbst nach den EZB-Projektionen bleibt die Teuerung im Jahr 2019 mit 1,6% weit unterhalb des 2-Prozent-Ziels. Kann man bei einer Zeitspanne bis Ende 2019 überhaupt noch von "temporär" sprechen? Was macht Draghi eigentlich so sicher, dass es danach mit der Teuerung wieder aufwärts gehen wird?

Offensichtlich steckt die EZB in einer Zwickmühle: Die Geldflut hat zwar den Kreditmarkt belebt, schlägt aber kaum auf die Teuerung durch. Die Notenbank müsste nach ihrem Verständnis den aktuellen Kurs also noch länger beibehalten. Doch damit wächst die Gefahr, dass wegen ökonomischer Fehlanreize die nächste Krise genährt wird. Zudem läuft der EZB schlicht die Zeit davon: Schon bald wird sie die Anleihekäufe drosseln müssen, weil sie sonst die selbstgesteckten Grenzen ihres Kaufprogramms verletzen würde. Aktuell darf sie nur bis zu 33% der Emission einer Staatsanleihe erwerben. Das wäre beim aktuellen Kaufvolumen nach Berechnungen des Vermögensverwalters Pimco im Falle Deutschlands bereits im März 2018 erreicht. Der politische Schaden, den eine Ausweitung oder Verletzung dieser Schwelle anrichten würde, wäre enorm.

Aber womöglich ist Draghis Hinweis auf frei interpretierbare "temporäre Faktoren", welche die Inflation schwächen, nur eine Finte, um der sich aufdrängenden Diskussion über das Inflationsziel aus dem Weg zu gehen. Viele Ökonomen sind nämlich überzeugt, dass strukturelle Veränderungen die Teuerung weltweit auf absehbare Zeit zügeln. Eigentlich müsste das Inflationsziel also eher herabgesetzt werden. Eine Debatte darüber käme aus Sicht der EZB aber einer Kapitulation gleich und dürfte zudem für große Zwietracht im EZB-Rat sorgen. Andere Notenbanken haben sich deshalb schon ein Ersatzziel gesetzt, das sie in den Vordergrund schieben: Finanzstabilität. Doch auch danach wäre ein Exit aus den Bondkäufen längst überfällig.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Stephan Lorz

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