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WAZ: Reformchaos in der Regierung: Misstrauen in die Demokratie

Archivmeldung vom 04.01.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 04.01.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Einfach mal die Klappe halten. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla wünscht sich das ebenso wie SPD-Vizekanzler Franz Müntefering, und beide meinen ausgesprochen und unausgesprochen den redseligen SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Aber beide meinen noch etwas mehr.

Die Große Koalition hat das neue Jahr mit dem Streit begonnen, mit dem sie das alte Jahr zu Ende gequält hat, über Gesundheitsreform, Einsatz der Bundeswehr im Innern oder Kündigungsschutz. Sie hat überdies den Eindruck eines grundsätzlichen Konflikts erweckt, indem Kanzlerin Angela Merkel weitere Reformen angekündigt hat, SPD-Chef Kurt Beck dagegen "immer mal langsam mit de Leut" umgehen will.

Dieses Durcheinander in der öffentlichen Darbietung meinen Pofalla und Müntefering, aber das lässt sich nicht abstellen, indem ein paar Leute mal die Klappe halten, denn das Durcheinander spiegelt bloß, dass es der Koalition nicht gelungen ist, gemeinsame Ziele zu bestimmen. Reformen müssen zu Zielen führen, sie sind nicht das Ziel an sich. Menschen wollen nicht in der ewigen Reform um der Reform willen leben. Doch diese Wahrnehmung erzeugt die Regierung bei der Gesundheitsreform, wie zuvor schon bei der Föderalismusreform. Auch die musste irgendwie zu Stande kommen, damit die Koalition einen vermeintlichen Erfolg vorweisen konnte. Deshalb überließ sie die Zuständigkeit für die Bildung den Ministerpräsidenten. Bildung und bildende Betreuung von Kindern aber sind ein großer Teil der Antwort auf die Frage, wie in Deutschland lebenswerte Verhältnisse zu bewahren oder herzustellen sind.

Mit der restlosen Aufgabe der Bildung hat die Regierung den Staat für vermutlich lange Zeit einer zentralen Gestaltungsmöglichkeit beraubt. Ein Staat aber, der wenig gestalten kann, macht Menschen Angst vor der Globalisierung. Und wenn Müntefering verspricht, während der EU-Ratspräsidentschaft das "Sozialmodell Europa" weiterzuentwickeln, dann fragt man sich, ob das leichter wäre, als das "Sozialmodell Deutschland" weiterzuentwickeln. Oder ist das schon weiterentwickelt, und es sagt einem nur keiner?

Einfach mal die Klappe halten, das verrät den ewigen Blick auf die schlechten Umfragewerte für die Volksparteien. Doch Politiker sollten ihr Augenmerk mehr auf Umfragen lenken, die Existenzängste vieler Menschen zum Ausdruck bringen und ein in der Geschichte der Republik beispielloses Misstrauen in die Demokratie. Dann ergibt sich: Klappe halten, analysieren, Ziele formulieren und erklären.

Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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